Kohärenz 02 - Hide*Out
sagen?«
»Hallo«, sagte Eric gehorsam, mehr aber auch nicht. Wie groß er geworden war! Lundkvist musste sich auf die Lippen beißen, um das nicht zu sagen. Kinder hassten diesen Spruch, das wusste er.
Aber er war wirklich groß geworden. Groß und ernst. Das lag bestimmt an dem einsamen Leben hier draußen. Ihm fehlten die Freunde. »Wie geht’s in der Schule?«, fragte er.
»Gut«, sagte Eric.
»In welche Klasse gehst du denn jetzt?«
»In die zweite.«
»In die zweite Klasse schon. Wie die Zeit vergeht. Ich weiß noch wie gestern, als du – « Lundkvist hielt inne. Jetzt fing er doch noch mit diesem Opa-Gebabbel an! Er sah sich hilflos um, wünschte sich, Patricia hätte ihm nicht den Rücken zugekehrt. »Kann ich etwas helfen? Den Tisch decken?«
»Gern. Wir brauchen tiefe Teller und Löffel.«
Lundkvist stand auf, musterte die Schränke. »Wenn du mir noch einen winzigen Tipp gibst, wo – «
»Da oben«, sagte Eric und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf einen der oberen Küchenschränke. »Dort sind die Teller. Die Löffel sind in der Schublade in der Mitte.«
»Ah.« Lundkvist lächelte, während er sich an die Arbeit machte. »Du kennst dich aus, was?«
»Ja«, sagte Eric. »Wir brauchen auch einen Untersetzer. Der ist in der rechten Schublade.«
»Rechte Schublade.« Er zog sie auf, stieß auf etliche dicke Korkplatten und legte eine davon auf den Tisch. »Du kennst dich wirklich gut aus.«
Patricia stellte den Topf auf den Tisch und schöpfte die drei Teller voll. Dann begannen die beiden, ohne ein weiteres Wort zu essen.
»Guten Appetit«, sagte Lundkvist unbehaglich und griff nach seinem Löffel.
Es schien Patricia doch zu stören, dass er gekommen war. Sie hatte wohl einfach nur gelernt, es sich nicht so stark anmerken zu lassen wie früher.
»Wenn es dir nicht recht ist, dass ich hier bin, dann kann ich auch woanders – «
»Doch«, sagte Patricia. »Es ist mir sogar sehr recht. Ich würde mich gern ausführlich mit dir unterhalten.«
Lundkvist hielt, den Löffel immer noch in der Hand, überrascht inne. »Tatsächlich? Das ist ja wunderbar. Ich hatte dasselbe gehofft. Dass wir mal in aller Ruhe über alles reden können…«
»Ich habe Zeit«, sagte Patricia.
Das Essen war warm und bestimmt nahrhaft, aber das war auch schon alles, was sich Lobendes darüber sagen ließ. Es war ein dickflüssiger Brei aus verschiedenen Gemüsen, Getreideflocken und ein wenig Fleisch, der schlicht und einfach nach nichts schmeckte. Tapetenkleister wäre verglichen damit eine kulinarische Offenbarung gewesen.
Aber Lundkvist war nicht bereit, die sich anbahnende Versöhnung an einer solchen Lappalie scheitern zu lassen. Tapfer schaufelte er sich das Zeug in den Mund, kaute so wenig wie möglich in dem Bemühen, die Geschmacksknospen seiner Zunge nicht mit dem Zeug in Berührung zu bringen, und als der Teller leer war, bat er verwegen um einen Nachschlag.
Immerhin, es sättigte.
»Schickt dir Brian noch regelmäßig Unterhalt?«, musste er schließlich doch fragen. Vielleicht nagte sie am Hungertuch und war nur zu stolz gewesen, ihn um Hilfe zu bitten. »Kommst du zurecht?«
»Geld ist kein Problem.«
»Weißt du, ich…« Er hielt inne. Wie anfangen? Wieder einmal peinigte ihn das Gefühl, trotz all seiner Bemühungen wie durch eine unsichtbare Mauer von seinen Mitmenschen getrennt zu sein. »Ich habe in letzter Zeit oft an deine Mutter denken müssen. Ich hab dir das nie gesagt, aber ich habe mich damals nur aus dem Grund so in meine Arbeit gestürzt, weil ich wollte, dass es uns gut geht. Es war eine wirtschaftlich schwierige Zeit, so viele Familien hatten Probleme – «
Sie schnitt ihm mit einer knappen Geste das Wort ab. »Das ist nicht mehr relevant«, erklärte sie.
Lundkvist sah sie überrascht an. Nicht mehr relevant? Über dieses Thema hatten sie erbittert gestritten, sich angeschrien, genug Tränen vergossen, um einen See damit zu füllen.
Und überhaupt… was war das eigentlich für eine eigenartige Wortwahl? So kannte er Patricia gar nicht. Seit wann verwendete seine Tochter Formulierungen wie ›nicht mehr relevant‹?
»Das… überrascht mich jetzt«, räumte er ein. »Ehrlich gesagt hatte ich kaum mehr zu hoffen gewagt, dass du und ich je wieder so vernünftig miteinander reden würden. Aber trotzdem, Patricia, ich möchte, dass du weißt, dass ich – «
»Du brauchst deine Argumentation nicht weiter fortzusetzen, Neal Lundkvist«, sagten Patricia und Eric wie
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