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Kohärenz 02 - Hide*Out

Kohärenz 02 - Hide*Out

Titel: Kohärenz 02 - Hide*Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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erklärten ihm die beiden Münder.
    Er schloss für einen Augenblick die Augen. Auf einmal hatte er das Gefühl, keinen Bauch mehr zu besitzen. Als sei dessen Unterseite herausgefallen und verschwunden.
    Ob ein Tier, das in eine Falle geraten war, sich wohl auch so fühlte? Wenn es begriff, dass es keine Rettung mehr gab?
    »Könnt ihr… kannst du das bitte lassen?«, bat er. »Im Chor zu sprechen, meine ich. Das irritiert unglaublich.«
    »Es ist einfacher für mich«, sagte Eric, und obwohl er mit seiner hellen Kinderstimme sprach, klang es bitterernst. »Aber wenn es dich so irritiert, ist es kein Problem, es zu lassen.«
    Es war kaum weniger irritierend, sein achtjähriges Enkelkind vor sich zu sehen und es wie einen Erwachsenen reden zu hören. Aber Neal Lundkvist wagte es nicht mehr, weitere Einwände vorzubringen.
    »Was wirst du jetzt tun?«, fragte er stattdessen. »Mir auch einen Chip einpflanzen?«
    »Nicht gegen deinen Willen.«
    »Was heißt das? Könnte ich jetzt einfach aufstehen und gehen?«
    Die Kinderaugen musterten ihn eindringlich, während Patricia… oder besser gesagt, der Körper von Patricia fortfuhr, den geschmacklosen Brei in sich hineinzuschaufeln. »Willst du denn gehen?«, fragte die Kohärenz durch Erics Mund. »Interessiert es dich nicht, was ich dir zu sagen hätte?«
    Tja. Das war die Frage. Wollte er wirklich gehen?
    Nein. Es mochte die Kohärenz sein, die zu ihm sprach, aber sie tat es durch seine Tochter und seinen Enkelsohn. Unmöglich, die beiden einfach zurückzulassen: Es hätte bedeutet, sie aufzugeben.
    »Kann ich dich überreden, diese beiden Menschen hier freizugeben?«, fragte er.
    Nun war es Patricia, die ihm antwortete. »Du kannst es ja versuchen. Ich bin rationalen Argumenten durchaus zugänglich. Nenne mir eines, warum ich das tun sollte.«
    »Du hast genug andere Menschen unter Kontrolle. Du brauchst diese beiden hier doch gar nicht.«
    »Oh, oh, Dr. Neal Lundkvist«, kam es tadelnd aus Patricias Mund. »Was du sagst, lässt mich befürchten, dass dies keine wirklich intelligente Unterhaltung werden wird. Du solltest inzwischen wissen, dass ich nicht Menschen unter Kontrolle habe, sondern aus Menschen bestehe. Patricia und Eric sind nun ein Teil von mir, ein Teil der Zukunft.«
    »Sind die beiden vorher zumindest gefragt worden, ob sie das möchten?«
    »Die wenigsten Menschen wären zu einer solchen Entscheidung imstande. Kreatürliche Ängste hindern sie daran und nicht zuletzt ein bedauerlicher Mangel an Fantasie.«
    »Dann könnte man sie doch jetzt fragen, ob sie ein Teil von… dir bleiben wollen, oder?«, schlug Lundkvist vor.
    »Ich fürchte, das ist nicht möglich. Das, was die beiden ausgemacht hat, ist im großen Ganzen aufgegangen. Zwei Wassertropfen, die ins Meer gefallen sind, kann man auch nicht mehr zurückholen. Man könnte eine entsprechende Menge Wasser herausschöpfen, gewiss, aber es wären nicht die ursprünglichen Tropfen.«
    »Das heißt, du hast ihre Persönlichkeiten zerstört.«
    »Persönlichkeit, Individualität… das wird alles sehr überschätzt. Im Grunde sind das nur angenehm klingende Bezeichnungen für einen zutiefst unangenehmen Zustand – den der Einsamkeit.« Die beiden blickten ihn an, legten die Köpfe beide leicht schief dabei. »Bist du nicht manchmal einsam, Neal Lundkvist?«
    Die Frage ging ihm durch und durch. Ja, er war einsam. Oft. Fast immer. War es zeit seines Lebens gewesen. Einsame Nächte in seinem Studentenzimmer, über Büchern und Aufschrieben, einsame Nächte im Krankenhaus, einsame Entscheidungen über Leben und Tod.
    Er zwang einen weiteren Löffel des geschmacklosen Gemüsepamps hinab, um Zeit zu gewinnen. Nachzudenken. Die Situation war völlig irritierend: Er saß zwei Menschen gegenüber, die er so gut kannte wie niemanden sonst, Menschen von seinem Fleisch und Blut – und doch spürte er in jeder Sekunde, dass er nicht allein mit ihnen war, dass eine überwältigende Macht durch sie sprach, durch sie handelte. Die Anwesenheit dieser Macht – der Kohärenz – fühlte sich an, als hätte sich, seit er das Haus betreten hatte, ein gewaltiger Berg darüber getürmt, ein Berg aus magnetischem Eisen, das ihm die Haut kribbeln und die Nerven beben ließ.
    War dies seine einzige Chance? Zu versuchen, sich aus der Falle herauszureden?
    »Einsamkeit«, erklärte er schließlich, »ist der natürliche Zustand des Menschen. Viele Philosophen haben darüber geschrieben. Wir träumen allein, wir sterben

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