Kohärenz 02 - Hide*Out
aus einem Mund. »Die hier anwesenden Personen sind nicht mehr die, für die du sie hältst.«
Evolution
35 | Sie fuhren und fuhren, die Musik spielte und spielte und es nahm und nahm kein Ende. Wie lange waren sie inzwischen eigentlich unterwegs? Er drehte allmählich wirklich durch.
»Dauert es noch lange?«, fragte Christopher irgendwann, als er das Gefühl hatte, dass ihm jeden Moment der Kopf platzen musste.
Worauf Kyle fragte: »Was sagt das Gerät?«
Worauf Madonna sagte: »Zwei Striche. Oder anderthalb, einer kann sich nicht entscheiden.«
Worauf Kyle sagte: »Mist.«
So, wie er das sagte, hätte er auch sagen können: Ich bin mir inzwischen nicht mehr sicher, ob es hier überhaupt irgendwo eine weiße Zone gibt.
Sie würden nie mehr aus dem Feld herauskommen. Nie wieder. Selbst wenn sie es heute noch schaffen sollten – die Kohärenz würde nicht nachlassen, ihren Einfluss weiter und weiter in unerschlossene Gebiete voranzutreiben. Sie würde Funkmasten überall dort aufstellen lassen, wo noch keine standen, in entlegenen Tälern wie in Wüsten, am Nordpol wie am Südpol, überall. Sie würde auch einen Weg finden, die Ozeane ins Mobilfunknetz einzubinden, bis es schließlich keinen Fleck mehr gab, den das Feld nicht erreichte, bis kein Ort auf Erden mehr den Upgradern verwehrt war.
Es gab kein Entrinnen.
Christopher hatte inzwischen immer stärker das Gefühl, dass der Chip in seinem Kopf angefangen hatte zu pulsieren. Ein dumpfes, mühsam schlagendes, fremdes Herz, so fühlte es sich an. Und sobald er losließ, würde es explodieren und Stopp. Genug. Er ruckte hoch, atmete scharf ein, blinzelte heftig.
»Was ist?«, fragte jemand. Madonna. Prüfende Blicke aus unergründlich schwarzen Augen.
»Nichts«, sagte Christopher. »Geht schon.«
Dabei hätte er schreien mögen. Hätte schreien mögen, lasst mich hier raus, setzt mich irgendwo ab und fahrt weg, so schnell ihr könnt – ich halte nicht mehr lange durch! Bringt wenigstens ihr euch in Sicherheit!
Es war nur so, dass er es sich nicht einmal mehr zutraute, so viele Worte hintereinander auszusprechen. Oder gar darüber zu diskutieren, falls sie widersprachen. Nur deshalb schrie er nicht. Nur deshalb sah er weiter wortlos aus dem Fenster, zwang sich, seinen Blick auf die Bäume zu richten und auf den von wildem Gras bewachsenen Straßenrand, zwang sich, weiter durchzuhalten.
Weiter durchhalten. Noch zehn Minuten. Zehn Minuten, das würde gehen. Und dann würde er schreien. Vielleicht fiel ihm bis dahin ein, wie man es kürzer sagen konnte. In einem Satz, gegen den es keinen Widerspruch gab.
»Probieren wir es dort drüben«, meinte Kyle irgendwann und riss den Wagen unvermittelt herum, lenkte ihn auf einen kaum sichtbaren Waldweg, der schräg von der Straße abwärtsführte.
Der Weg war voller Schlaglöcher und dicker Steine, sie alle wurden heftig durchgeschüttelt. Madonna sagte irgendwas von wegen, ob das Auto ihres Bruders da wohl durchkommen würde, das sei schließlich kein Geländewagen. Berg und Tal, links und rechts, Bäume, die immer höher wurden, ein Bach in der Tiefe, glitzernd, Sonnenlicht durch Geäst gefiltert, grün schimmernd in der Höhe, träumerisches Licht erzeugend.
»Und?«, fragte Kyle.
»Ha!«, jauchzte Madonna. »Kein Netz. Christopher! Das Netz ist weg!«
Er starrte sie an, brauchte eine Weile, bis er begriff, was sie sagte. Und dann wagte er es kaum, ihr zu glauben. Das Netz weg? Kein Feld? Tatsächlich, er spürte es auch. Er konnte loslassen, wagte es nur zögernd, aber ja, es passierte nichts, der Chip blieb ruhig, hatte es aufgegeben, kein schwarzer Strudel, nichts. Alles in Ordnung.
»Ja«, flüsterte er. »Wir haben es geschafft. Wir sind draußen.« Jetzt, da er nicht länger standhalten musste, spürte er grenzenlose Erschöpfung, eine Müdigkeit, die ihm ausreichend schien für eine ganze Woche Schlaf. Er würde sich nur einen Moment hinlegen, gleich hier auf der Rückbank, dagegen war sicher nichts einzuwenden, nur einen kurzen, winzigen Moment lang…
Und wenn das Netz nur momentan ausgefallen war? Wenn es zurückkam, während er schlief?
Würde er je wieder als er selbst aufwachen?
Diese Frage ging ihm noch durch den Kopf, dann war der Schlaf stärker.
36 | Neal Lundkvist ließ den Löffel langsam sinken. Er spürte auf einmal sein Herz heftig schlagen.
»Spreche ich noch mit meiner Tochter«, fragte er mühsam, »wenn ich mit dir spreche?«
»Du sprichst mit der Zukunft«,
Weitere Kostenlose Bücher