Kohärenz 02 - Hide*Out
anstrengend, das schon, aber er schaffte es.
Noch jedenfalls.
Wäre trotzdem nicht schlecht gewesen, wenn sie endlich aufgebrochen wären. »Wie sieht’s aus?«, sagte er, mehr aber nicht, weil er merkte, wie sein Widerstand wackelte, wenn er zu mehreren Leuten sprach. Mehrere Leute, das war ihm noch nie geheuer gewesen. Er hatte schon immer am liebsten nur einen Gesprächspartner gehabt, alles andere war Stress.
Offenbar schwächte Stress seine Widerstandskraft. Wichtige Erkenntnis.
Die Mail. Madonnas Video. Nun hatte er sie doch abgeschickt. Aus Versehen sozusagen.
Na ja. Egal. Das war jetzt wirklich das kleinste Problem.
Es schien endlich loszugehen. Gepäck wurde umgeladen, um in Kyles Wagen Platz zu schaffen. Schlafsäcke, Zelte, Luftmatratzen, dies und das. Wie viel Geld sie noch hatten und wo sie unterwegs Lebensmittel kaufen würden, wurde diskutiert.
»Okay«, sagte Kyle schließlich. »Schwesterherz, du fährst am besten mit George. Christopher und Madonna kommen mit mir. Madonna auf den Beifahrersitz; du musst regelmäßig die Netzstärke prüfen.«
Standhalten. Einsteigen und standhalten. Den Gurt anlegen und standhalten.
Noch einmal lief Kyle zu George hinüber, sie besprachen etwas. Madonna richtete sich auf dem Beifahrersitz ein, wandte den Kopf. »Alles okay?«, fragte sie besorgt.
»Ja«, sagte Christopher. »Alles okay so weit.«
Sie zückte ihr Telefon. Ihre tragbare Peilstation. Wenn der Geheimdienst ihre Nummer hatte und wusste, dass sie mit Jeremiah Jones in Verbindung stand, dann würde ihnen die Kohärenz ganz bequem folgen können.
Aber es ging nicht anders, sagte sich Christopher und konzentrierte sich darauf standzuhalten.
Kyle kam zurück und schwang sich hinter das Lenkrad. Der Wagen schaukelte, beruhigte sich gleich wieder. Er ließ den Motor an, der unangenehme, schabende Geräusche machte.
»Was sagt das Ding?«, wollte Kyle von Madonna wissen.
»Vier von fünf Strichen. Super Empfang.«
»Das heißt, wir müssen weit fahren«, meinte Kyle und machte eine unwillige Bewegung mit dem Kopf. Von hinten sah Christopher seine sandbraunen Locken, mit einem Haargummi zu einem Büschel zusammengebunden, über der Kopflehne hin und her wippen.
Endlich ging es los. Die Autos fuhren und Christopher hielt stand. Einmal drehte er sich um und sah den Wagen mit George Angry Snake am Steuer hinter ihnen. Serenity saß neben ihm und wirkte unzufrieden: Kein Wunder, George war nicht gerade das, was man unter einem lebhaften Gesprächspartner verstand.
Christopher wusste, dass er das auch nicht war, jetzt gerade weniger denn je. Obwohl es allmählich Routine wurde standzuhalten. Er gewöhnte sich daran wie an ein Loch im Zahn.
Aber natürlich würde das nur funktionieren, solange er wach war. Wachposten durften nicht schlafen, nirgends und niemals, und er war jetzt ein Wachposten, ein Wachposten in seinem eigenen Inneren. Schlafen durfte er erst wieder, wenn sie eine weiße Zone erreicht hatten.
Fahren. Standhalten. Fahren. Sich widersetzen. Wenn der Gedanke, mit dem er den Zugang verschlossen hielt, ein Daumen gewesen wäre, wäre die Haut inzwischen wund, dachte er irgendwann.
»Noch zwei Striche«, sagte jemand und jemand anders: »Ist ja unglaublich.«
Christopher hatte keinen Blick für die Landschaft, keinen für die Siedlungen, die sie passierten. Nur am Rande bekam er mit, dass die Siedlungen immer kleiner wurden, die Abstände zwischen ihnen immer größer, die Straßen immer schlechter.
»Christopher!«
Er fuhr hoch. Es war Madonna, die sich zu ihm umgedreht hatte, ihr Telefon in der Hand. »Das Netz ist runter bis auf einen Strich! Und selbst der flackert schon!«
Christopher kniff die Augen zusammen, fühlte den Schmerz, den das verursachte. »Das nützt nichts«, stieß er hervor.
Hätte er sonst nichts zu tun gehabt, hätte er ihr das erklären können: Das Problem war, dass er verhindern musste, dass sich der Chip ins Netz einklinkte. Das war ein digitaler Vorgang: Entweder der Chip tat es oder er tat es nicht. Solange er auch nur eine geringe Feldstärke maß, versuchte er es. Und da es sich um eine digitale Verbindung handelte, spielte es auch keine Rolle, ob sie bei minimaler oder optimaler Feldstärke zustande kam: Es genügte, dass sie zustande kam, um der Kohärenz Tür und Tor in seinen Geist zu öffnen.
»Es muss auf null sein«, sagte Christopher mühsam.
So fuhren sie und fuhren. Irgendwann schaltete Kyle das Radio ein, weil er hoffte, auf diesem Weg
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