Kohl des Zorns
Einer?«
»Selbstverständlich. Um zu demonstrieren, daß ich zu meinen eigenen Überzeugungen stehe. Ex unque leonem, wie der Franzose sagt.« An dieser Stelle zog er die besagte Banknote hervor, die, nach ihrem Aussehen zu urteilen, einen Gegenstand von großem sentimentalem Wert darstellte, und reichte sie Pooley.
»Meine Güte!« sagte dieser. »All das viele Geld und überhaupt!«
»Ich bin jedenfalls kein leerer Schwätzer.«
»Kein Gedanke, nein. Aber sag mir eins, John: Auf was genau soll ich eigentlich wetten?«
»Auf eine todsichere Sache, was sonst?«
»Ah«, erwiderte Jim ohne jegliche Überzeugung. »So eine also.«
»Ja, so eine. Direkt aus dem Mund des Rennpferds, frisch heute morgen. Ein kleiner Vogel hat es mir ins Ohr geflüstert, und ich werde das gleiche bei dir tun.«
»Du scheinst dich in letzter Zeit ausgiebig mit den Bewohnern des Tierreiches zu unterhalten.«
»Die Sache ist todsicher, glaub mir.«
»Bei einer Quote von zehntausend zu eins?«
»Macht es dir etwas aus, wenn ich jetzt flüstere?«
»Was habe ich schon zu verlieren, einmal abgesehen von meinen neun Pfund?«
Omally beugte sich vor, und ein Strom geflüsterter Worte ergoß sich in Pooleys linkes Ohr. Jim lauschte ungerührt. Ein Stück Kaugummi auf seinem Spann erweckte die Aufmerksamkeit einer Ameise.
»Ah«, sagte er nach einer ganzen Weile, als der Strom geflüsterter Worte versiegt war.
»Ah«, sagte John und nickte enthusiastisch.
»Nein«, sagte Jim. »Ich sage nein.«
»Ja«, widersprach John. »Du kannst unmöglich nein sagen!«
»Nein, nein, nein!« Pooley schüttelte den Kopf im Takt zu seinen Neins. »Niemals nicht! Nie im Leben. Nein!«
John legte seinem besten Freund den Arm um die Schultern. »Vertrau mir!« sagte er eindringlich. »Würde ich dich auf das falsche Pferd setzen lassen?«
Jim biß sich zögernd auf die Unterlippe, und wie das Sprichwort weiß, hat der, der zögert, bereits verloren.
»Also wirst du es tun, Jim?«
»Warum nicht?« Pooley seufzte herzergreifend. »Ich werde mich zum Gespött von ganz Brentford machen, für die nächsten Monate das Ziel aller Häme im Fliegenden Schwan, ein neuer Ausdruck für Hanswurst, aber was habe ich sonst schon zu verlieren?«
»Denk doch daran, was wir mit unserem Gewinn alles unternehmen könnten!«
»Das ist nicht dein Ernst, John! Du willst mir doch wohl nicht einreden, daß …«
Omally legte seinem Kumpan hastig die Hand auf den Mund. »Nicht einmal hier!« mahnte er leise und legte einen Finger auf die Lippen. »Die Wände haben Ohren!«
Jim zuckte seufzend die Schultern.
»Also«, fuhr Omally aufgeregt fort. »Ich schlage vor, du schlägst jetzt ein paar Freiländer in die alte Teflon und machst uns ein Frühstück. Vor uns liegt ein arbeitsreicher Tag, und ich muß ein paar dringende Telefongespräche führen.«
Kopfschüttelnd nahm Pooley Eier und Wurst aus dem Kühlschrank. Die Würstchen waren von Wände. Aber sie hatten keine Ohren.
Kapitel 6
Kurz nach neun: Norman kehrte von seiner Zeitungsrunde zurück. Er pfiff eine lautlose Melodie vor sich hin, die vielleicht ›Dali’s Car‹ sein mochte, vielleicht aber auch nicht. 5 Kurz bevor er vor seinem Eckladen angekommen war, stellte er zu seinem Entsetzen fest, daß er noch eine Ausgabe des Brentforder Merkur übrigbehalten hatte. Und da er sich nicht genau erinnern konnte, ob er Neville eine hatte zukommen lassen, als er sich auf die Runde gemacht hatte, schob er sie durch den Briefkastenschlitz des Fliegenden Schwans. Um sicherzugehen, sozusagen.
Der Teilzeitbarmann, der sich noch immer nicht von dem Schock seiner nasalen Erfahrung erholt hatte und darüber hinaus beinahe in ein Trauma gefallen wäre, als er den Merkur zum allerersten Mal auf der Fußmatte unter dem Briefschlitz fand, starrte voller Entsetzen auf die zweite Zeitung und griff mit zitternden Fingern nach der eselsohrigen Kopie von Krafft-Ebbing’s Psychopathia Sexualis.
Kurz nach neun Uhr fünfzehn: Inspektor Hovis stapfte in die Brentforder Polizeistation. Er weckte den vor sich hindösenden Offizier vom Dienst mit einem summarischen Schlag seines silbernen Gehstocks an den Schädel, wies sich aus und erteilte augenblicklich eine ganze Reihe von Befehlen, stellte Forderungen und gab Direktiven, Verhaltensmaßregeln, Ultimaten aus. Er hielt erst inne, als ihm die Luft ausgegangen war, und als er den verwirrt-entsetzten Ausdruck auf dem Gesicht des Sergeanten erblickte, fragte er: »Können Sie mir
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