Kohl des Zorns
dadurch, daß John ihm eingeschärft hatte, die Liste »unbedingt aufzuessen«, falls er von der Konstablerei aufgegriffen würde.
»Es ist alles da«, wiederholte Pooley und nickte in Richtung mehrerer praller Einkaufstüten. »Ich werde eine ganze Woche lang rote Ringe an den Fingern haben, weil das Zeug so schwer war.«
Omally ignorierte die Beschwerden seines Freundes und leerte den Inhalt der Tragetaschen auf seinen Arbeitstisch. Er musterte die Schachteln mit Waschsoda, die Tüten mit weißem Zucker, die Packungen mit Unkrautvernichtungsmittel, die Dose mit rotem Oxid und die vielen anderen Dinge.
»Wunderbar«, wandte er sich an Jim. »Das müßte reichen. Und jetzt denke ich, daß du besser gehen solltest. Warum verschwindest du nicht ins Hauptquartier und räumst dein Büro leer?«
»Du meinst, ich soll belastende Beweise beiseite schaffen?«
»Ich meine, die Dinge einpacken, die dir etwas bedeuten, weil sie ab Mitternacht kein Morgen mehr haben. Mach dich sofort an die Arbeit, Jim. Wir treffen uns in ungefähr einer Stunde im Fliegenden Schwan.« Er blickte der sich rasch entfernenden Gestalt seines Freundes hinterher. »Und mach die Fischgatter auf! Die Lachse haben ein besseres Schicksal verdient, hörst du?«
Die Tür fiel hinter Pooley ins Schloß, und Omally trommelte mit den Fingern auf seinem Arbeitstisch. Unwillkürlich drangen die Worte eines alten Rebellenlieds über seine Lippen.
Fünf Minuten später schlich ein verstohlener Jim Pooley durch das hohe Gras in Richtung der rostenden Umrisse des gar nicht so verlassenen Leichters. Die Luft war kühl geworden, und der Bursche schlug den Kragen hoch, während er über den Pfad trottete, den nur er und Jim kannten. Hoch oben am Himmel schwamm ein aufgeblähter Mond stromaufwärts gegen Bänder aus weißen Wolkenfetzen. Reiher raschelten geheimnisvoll in ihren Nestern in den Bäumen, und eine einzelne Eule in der Ferne war mit privaten Erkundigungen beschäftigt. Plötzlich sprang ein Lachs, und Pooleys Herz geriet vorübergehend aus dem Rhythmus.
Jims Augen leuchteten weiß im Mondlicht. Die verlassene Werft hatte tagsüber durchaus einen gewissen Charme, doch in der Nacht verlor sie jegliche Anziehungskraft. Pooleys überbordende Phantasie sah bereits überall Gespenster. All die Geschichten von geköpften Flußschiffern und grinsenden Schmugglern, die man sich nur im Flüsterton erzählte, kamen ihm plötzlich in Erinnerung. In seiner gegenwärtigen Lage vergaß er ganz, daß er und John es gewesen waren, die diese Geschichten überhaupt erst in Umlauf gesetzt hatten. Und dann gab es immer noch den Brentforder Vogel Greif. Jim erschauerte. Möglicherweise lauerte das Ungeheuer jetzt in diesem Augenblick irgendwo dort draußen in der Dunkelheit und leckte sich den Schnabel bei der Aussicht, Pooley zu krallen. »Nein!« Jim schüttelte entschieden den Kopf. Das war nur eine Geschichte. Ein Ammenmärchen, das die Burschen im Arts Center erfunden hatten, um sich ein wenig Publicity zu verschaffen. Aber sicher sein konnte man nie.
Der Lachs sprang erneut, und Jim huschte eilig weiter in Richtung des rostigen Leichters.
Als er an Bord war, die Luke hinter sich geschlossen und die Lampen angezündet hatte, schienen die Dinge nicht mehr so schlimm zu sein. Obwohl sie es eigentlich waren. Jim überflog die vertrauten Gegenstände, das Mobiliar, die Kinkerlitzchen, den Tand und den Nippes. All das schien ihm nun fremd, und über allem schwebten große rote Neonbuchstaben, die immer und immer wieder das Wort ›Beweismittel‹ verkündeten.
Pooley ließ sich in den Le Corbussier sinken. Wo sollte er anfangen? Was sollte er einpacken? Was war wichtig? Er seufzte und kratzte sich am Kopf, und seine Augen blieben am Cocktailschrank hängen.
Jim wurde munter. Er schlenderte zu der Flasche Dom Perignon 1807, die im elektrischen Eiskühler auf ihren großen AUGENBLICK wartete. Jim verschwendete wenig Zeit mit dem Gedanken, daß dieser AUGENBLICK nun gekommen war. Die Flasche fühlte sich kalt und schwer an, und es würde viel leichter sein, den Inhalt davonzutragen, wenn er ihn in sich hatte. Es wäre Verschwendung, die Flasche zurückzulassen, und Jim hegte eine tiefe Abscheu gegen jegliche Form von Verschwendung.
Er würde auf das Ende einer Epoche trinken, während er seine Siebensachen zusammensuchte. Weg mit dem Alten und her mit dem Neuen. Erfreut wie immer über die Schlüssigkeit seiner Argumentation, setzte Jim den Daumen an und drückte
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