Kohl, Walter
sonst womöglich noch die Kontrolle über
seine eigene persönliche Zukunft entglitten. Hinzu kam, dass dem Rückzug aus
der Politik nicht wie geplant im Unruhestand die Ausübung renommierter
Tätigkeiten folgte. Nach der Spendenaffäre trat etwas ein, was vorher wohl niemand
für möglich gehalten hätte, am allerwenigsten der Betroffene selbst: Helmut
Kohl war einfach nicht mehr gefragt. Selbst aus dem verschworenen Kreis der
treuesten Kohlianer verabschiedete sich der eine oder andere heimlich, still
und leise. So wurde eine Frage für meinen Vater immer drängender: Wie konnte
sein Leben weiter praktisch funktionieren?
Was
folgte, war absehbar: Eine neue Frau sollte sein Leben organisieren. Maike war
dafür genau die Richtige, und so schenkt sie ihm seit einiger Zeit so gut wie
hundert Prozent ihrer Zeit und Aufmerksamkeit. Durch diese Bemutterung wurde
mir erst richtig klar, wie wichtig für ihn die Lebensleistung unserer Mutter
auf dem spröden und unspektakulären Terrain der tausend alltäglichen
Kleinigkeiten gewesen war, wie hilflos und - für ihn völlig unerträglich -
machtlos er ohne eine solche Frau an seiner Seite gewesen wäre.
Die
Neubesetzung der Stelle des Personal Managers mit Maike
Richter war rückblickend beinahe zwangsläufig. Ich wäre nicht überrascht, wenn
sie Helmut Kohl schon als Studentin verehrt hätte. Jedenfalls machte sie sich
im Lauf der Jahre in seinem Umfeld unentbehrlich. Als Mitarbeiterin des Kanzleramtes
nahm sie an Reisen teil, man lernte sich irgendwann besser kennen. Nun war der
Platz an seiner Seite frei geworden, und knapp drei Jahre nach der Verwitwung
hielten beide es für angemessen, offiziell als Paar aufzutreten. Wir Söhne
hatten bis zu unserem förmlichen Kennenlernen im Herbst 2004 noch nie von Maike
gehört.
Die für
uns so neue Beziehung entwickelte eine schnelle Dynamik. Schon bald teilte
mein Vater mir mit, dass Maike beim möglichen Eintreten eines medizinischen
Notfalls die Person seines Vertrauens sei. Sie hatten bereits eine
Patientenverfügung unterschrieben. Somit war klar, dass ich mich nicht länger
als Verantwortlicher fühlen sollte und nur noch als Besucher ins Krankenhaus
kommen würde. Maike traf jetzt alle wesentlichen Entscheidungen, der Kontakt
wurde immer spärlicher. Meine Dienste als Assistent wurden nicht länger gebraucht.
So kam es zu meinem Entschluss, dass ich eines Tages seine Akten ins Auto lud
und sie ihm in die Diele stellte.
Mein Vater
besitzt die Gabe, andere Menschen für sich einzunehmen, und wenn er sich
entschieden hat, dann ist er auch bereit, diese Menschen innerlich anzunehmen.
Aber er kann sich auch wieder von ihnen trennen, und er bevorzugt dabei den
klaren, glatten Schnitt. Das galt für politische Weggefährten, wie es für
persönliche Beziehungen galt und gilt. Kohlianer zu sein ist ein Zustand auf
Zeit, ein Status, der nur von Helmut Kohl selbst verliehen, bestätigt oder
entzogen wird. Natürlich wusste ich um diese Funktionseigenschaft des »Systems
Kohl«, dennoch verstörte es mich tief, an meiner eigenen Person zu erfahren,
dass sie sich auch auf den innersten privaten Bereich erstreckte.
Im Grunde
habe ich nie in sein Denken gepasst. Und erst im Nachhinein erkannte ich, dass
es fast vollständig das Verdienst unserer Mutter war, wenn unsere Familie
trotz allem weiter existierte. Sie war ein Regulativ erster Ordnung für das
»familiäre System Kohl«, und sie wusste es. Im Abschiedsbrief an ihren Mann, so
teilte Helmut Kohl der Öffentlichkeit mit, forderte sie ihn indirekt dazu auf,
sich nach ihrem Abtreten eine neue Partnerin zu wählen. Nach mehr als 40
Ehejahren wusste sie besser als jeder andere Mensch, wessen es bedurfte, um danach
das Gleichgewicht wiederherzustellen. Oder ahnte sie vielleicht, dass es schon
konkrete Beziehungen gab? Und so nahmen denn die Dinge ihren Lauf, wie
beschrieben.
Wie also
würde ich mit den familiären Entwicklungen umgehen? Diese Frage stand jetzt im
Raum, und es ging für mich um nichts weniger, als sich dabei an den eigenen
Ansprüchen messen zu lassen: sich öffnen, akzeptieren, Klarheit gewinnen, neue
Wege beschreiten.
Mein Vater
hat sich inzwischen vollständig von mir losgesagt. Auf meine direkte Frage:
»Willst du die Trennung?«, antwortete er mir knapp mit »Ja!« - damit waren für
mich alle weiteren Interpretationsmöglichkeiten ausgeschlossen. Die Tatsache,
dass ich erstmals eigenständig Interviews gab, tat für ihn ein Übriges. Das
erschien ihm
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