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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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es dann zwischen 1959 und 1974 sehr kalt war, ging der Bestand der wandernden Robbenarten wegen des vielen Meereises zurück, und entsprechend sank die Fangmenge der einheimischen Robbenjäger; die Grönländer konnten jedoch eine Hungersnot verhindern, weil sie sich auf die Ringelrobben konzentrierten, eine Spezies, die nach wie vor in großer Stückzahl vorhanden war, weil diese Tiere sich Atemöffnungen im Eis schaffen. Ähnliche Klimaschwankungen mit nachfolgenden Veränderungen in der Häufigkeit von Beutetieren waren vermutlich ein wichtiger Faktor für die erste Besiedlung durch amerikanische Ureinwohner um 2500 v. Chr. ihr möglicherweise fast völliges Verschwinden um 1500 v. Chr. ihre nachfolgende Rückkehr, den erneuten Niedergang und die Entscheidung, den Süden Grönlands irgendwann vor der Ankunft der Wikinger um 980 n. Chr. endgültig aufzugeben. Die normannischen Siedler trafen also anfangs nicht auf amerikanische Ureinwohner, sie fanden aber Ruinen, die frühere Bewohner zurückgelassen hatten. Zum Pech der Normannen schuf das warme Klima zur Zeit ihres Eintreffens auch für das Volk der Inuit (Eskimos) die Möglichkeit, sich von der Beringstraße über die kanadische Arktis schnell nach Osten auszubreiten, denn das Eis, das die Kanäle zwischen den nordkanadischen Inseln während der kalten Jahrhunderte völlig verschlossen hatte, taute nun im Sommer und ermöglichte den Grönlandwalen, den wichtigsten Nahrungslieferanten der Inuit, die Durchquerung der Wasserstraßen in der kanadischen Arktis. Wegen dieses Klimawandels konnten die Inuit um 1200 von Kanada in den Nordwesten Grönlands einwandern - und das hatte für die Wikinger schwer wiegende Folgen.
    Wie wir aus den Eisbohrkernen ablesen können, herrschte zwischen 800 und 1300 in Grönland ein relativ mildes Klima, das dem heutigen Wetter in der Region ähnelte oder sogar noch geringfügig wärmer war. Diese milden Jahrhunderte werden auch als mittelalterliche Warmperiode bezeichnet. Als die Wikinger nach Grönland kamen, waren also - zumindest nach dem Maßstab des durchschnittlichen Klimas in Grönland während der letzten 14 000 Jahre - gute Voraussetzungen für das Wachstum von Gras und die Haltung von Weidetieren gegeben. Ungefähr ab 1300 setzte in der Nordatlantikregion jedoch eine Abkühlung ein, und das Wetter schwankte von Jahr zu Jahr stärker; damit begann eine Kälteperiode, die bis ins 19. Jahrhundert dauerte und als »kleine Eiszeit« bezeichnet wird. Sie hatte um 1420 ihren Höhepunkt erreicht, und die zunehmenden Mengen an sommerlichem Treibeis zwischen Grönland, Island und Norwegen brachten den Schiffsverkehr mit der Außenwelt zum Erliegen. Erträglich oder sogar nützlich war das kalte Wetter für die Inuit, die nun Jagd auf Ringelrobben machen konnten, aber den Wikingern, die auf die Heuproduktion angewiesen waren, wurde es zum Verhängnis. Wie wir noch genauer erfahren werden, trug der Beginn der kleinen Eiszeit wesentlich zum Niedergang von NormannischGrönland bei. Aber der Klimawandel von der mittelalterlichen Warmperiode zur kleinen Eiszeit spielte sich nicht einfach so ab, dass »es kälter wurde und die Normannen starben«, sondern die Sache war wesentlich komplizierter. Auch vor 1300 hatte es bereits vereinzelt kältere Phasen gegeben, und die Wikinger hatten dennoch überlebt; andererseits brachten vereinzelte wärmere Abschnitte nach 1400 keine Rettung mehr. Vor allem aber bleibt die drängende Frage: Warum lernten die Wikinger nicht, mit der kleinen Eiszeit umzugehen, wo sie doch nur die Inuit beobachten mussten, die vor der gleichen Herausforderung standen?
    Um unsere Betrachtung der ökologischen Verhältnisse in Grönland zu vervollständigen, sollten wir noch die einheimischen Tiere und Pflanzen erwähnen. Eine gut entwickelte Vegetation gibt es nur in Regionen mit mildem Klima, die vor der Salzgischt geschützt sind - das heißt im oberen Teil der langen Fjorde an der Südwestküste, wo sich auch die Westliche und Östliche Siedlung befanden. Dort ist die Vegetation in Gebieten, wo keine Tiere weiden, von Ort zu Ort unterschiedlich. In den kälteren Höhenlagen und am äußeren Teil der Fjorde in Meeresnähe, wo Kälte, Nebel und Salzgischt das Pflanzenwachstum behindern, sind Seggen die beherrschenden Arten - diese sind kürzer als Gräser und haben für Tiere einen geringeren Nährwert. Seggen können an solchen ungünstigen Orten wachsen, weil sie gegenüber der Austrocknung widerstandsfähiger sind als

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