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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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beeinflussen auch die Menge von Meereis, die ihrerseits wieder Einfluss auf die Robbenjagd und die Gelegenheit zu Handelsschiffsreisen hat - beides ebenfalls für die Wikinger sehr wichtig. Die Wetterschwankungen über kurze Entfernungen und von Jahr zu Jahr waren von entscheidender Bedeutung: Grönland eignete sich ohnehin im besten Fall mäßig gut für die Heuproduktion, und deshalb konnten ein geringfügig schlechterer Ort oder Jahrestemperaturen, die geringfügig unter dem Durchschnitt lagen, im Winter zu einem Mangel an Heu für das Vieh führen.
    Im Zusammenhang mit den lokalen Unterschieden ist es von großer Bedeutung, dass die eine der beiden Wikingersiedlungen 500 Kilometer weiter nördlich lag als die andere, aber zur allgemeinen Verwirrung wurden sie nicht als Nördliche und Südliche, sondern als Westliche und Östliche Siedlung bezeichnet. (Diese Namen hatten mehrere Jahrhunderte später unglückselige Folgen: Die Bezeichnung »Östliche Siedlung« führte dazu, dass die Europäer an der falschen Stelle - nämlich an der Ostküste Grönlands - nach der lange vergessenen Wikingersiedlung suchten und nicht an der Westküste, wo die Wikinger in Wirklichkeit zu Hause waren.) Im Sommer ist es in der nördlich gelegenen Westlichen Siedlung ebenso warm wie in der Östlichen Siedlung. Die sommerliche Wachstumssaison ist in der Westlichen Siedlung jedoch kürzer (nur fünf Monate mit Durchschnittstemperaturen über dem Gefrierpunkt, im Gegensatz zu sieben Monaten in der Östlichen Siedlung), denn die Zahl der Sommertage mit Sonnenschein und höheren Temperaturen nimmt nach Norden immer mehr ab. Außerdem ist es an der Meeresküste, wo die Fjorde münden und wo die Landschaft unmittelbar dem kalten Westgrönlandstrom ausgesetzt ist, grundsätzlich kälter, feuchter und nebliger als im geschützten oberen Teil der Fjorde im Landesinneren.
    Noch ein weiterer lokaler Unterschied fiel mir bei meinen Reisen in Grönland auf: In manche Fjorde fließen Gletscher, in andere jedoch nicht. In den Fjorden mit Gletschern entstehen ständig neue Eisberge, solche ohne Gletscher nehmen dagegen nur jene Eisberge auf, die aus dem offenen Meer hineintreiben. Bei meinem Besuch im Juli war beispielsweise der Igalikufjord (an dem die Wikingerkathedrale liegt) frei von Eisbergen, weil in ihn kein Gletscher hineinfließt; der Eiriksfjord (wo sich die Ortschaft Brattahlid befindet), in den ein Gletscher mündet, war mit Eisbergen übersät; und der nächste Fjord in nördlicher Richtung, Sermilikfjord genannt, besitzt mehrere große Gletscher und war völlig mit Eis verstopft. (Diese Unterschiede und die großen Schwankungen in Form und Größe der Eisberge waren einer der Gründe, warum mir in die Landschaft in Grönland trotz ihrer wenigen Farben immer wieder so interessant erschien.) Als Christian Keller eine abgelegene archäologische Fundstätte am Eiriksfjord untersuchte, ging er häufig zu Fuß über den Hügel und besuchte einige schwedische Archäologen, die an einer Stätte am Sermilikfjord arbeiteten. Im Lager der Schweden war es beträchtlich kälter als bei Christian, und entsprechend war auch der Wikinger-Bauernhof, den die unglückseligen Schweden sich für ihre Untersuchung ausgesucht hatten, wesentlich ärmer als jener, mit dem Christian sich beschäftigte (weil es an der Stelle der Schweden kälter war, sodass man weniger Heu ernten konnte).
    Sehr deutlich werden die alljährlichen Wetterschwankungen auch an den Heuerträgen der Schaffarmen, die seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts in Grönland ihren Betrieb wieder aufnahmen. In feuchteren Jahren wachsen die Pflanzen stärker, was für die Viehzüchter allgemein vorteilhaft ist: Sie können mehr Heu ernten, um damit ihre Schafe zu füttern, und die wilden Karibus haben mehr Gras als Nahrung (sodass man sie in größerer Zahl jagen kann). Fällt aber während der Heuernte im August und September zu viel Niederschlag, geht der Ertrag wiederum zurück, weil das Heu kaum noch trocken wird. Ein kalter Sommer ist schlecht, weil das Graswachstum sich verlangsamt; ein langer Winter ist schlecht, weil man die Tiere dann länger im Stall halten muss, was mehr Heu erfordert; und ein Sommer, in dem aus dem Norden viel Treibeis kommt, ist ebenfalls schlecht, weil sich dann der dichte Sommernebel einstellt, der das Wachstum des Grases behindert. Solche Wetterschwankungen machen das Leben für die heutigen Schafzüchter in Grönland zu einer Lotterie, und den gleichen

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