Kollaps
19. Jahrhundert anhielt. In dieser Zeit ging die Heuproduktion noch weiter zurück, und die Schifffahrtsrouten zwischen Grönland und Norwegen waren durch Meereis blockiert. Aber diese Hindernisse für die Schifffahrt - der dritte Faktor - waren nur einer der Gründe für den Rückgang und schließlich das Ende des Handels mit Norwegen, auf den die Grönländer angewiesen waren, weil er ihnen Eisen, eine gewisse Menge Holz und ihre kulturelle Identität verschaffte. In Norwegen raffte der »Schwarze Tod« (eine Pestepidemie) in den Jahren 1349/50 etwa die Hälfte der Bevölkerung hin. Im Jahr 1397 vereinigten sich Norwegen, Schweden und Dänemark unter einem einzigen König, der Norwegen, die ärmste der drei Provinzen, im weiteren Verlauf links liegen ließ. Die Nachfrage nach Walrosselfenbein, Grönlands wichtigster Exportware, ging in Europa zurück, als die Christen sich durch die Kreuzzüge Zugang zu dem Elefantenelfenbein aus Asien und Ostafrika verschafften, dessen Lieferung nach Europa zuvor durch die arabische Eroberung der Mittelmeerküste zum Erliegen gekommen war. Im 15. Jahrhundert waren Elfenbeinschnitzereien aller Arten, ob von Wahlrosszähnen oder Elefanten, in Europa aus der Mode. Alle diese Faktoren trugen dazu bei, dass man in Norwegen immer weniger über Finanzmittel und Motivation verfügte, Schiffe nach Grönland zu schicken. Die grönländischen Wikinger waren bei weitem nicht das einzige Volk, das feststellen musste, dass seine Wirtschaft (oder sogar sein Überleben) bedroht war, weil wichtige Handelspartner in Schwierigkeiten gerieten; das Gleiche erlebten die Vereinigten Staaten 1973 durch das Ölembargo der Golfstaaten, die Bewohner von Pitcairn und Henderson zu der Zeit, als in Mangareva der Wald zerstört wurde, und viele andere.
Die Zahl derartiger Fälle wird sich durch die moderne Globalisierung sicher vervielfachen. Mit der Ankunft der Inuit und der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Wikinger, tief greifende Veränderungen zuzulassen, war das Quintett der Faktoren, die hinter dem Untergang der grönländischen Kolonie standen, schließlich komplett.
Alle fünf Faktoren entwickelten sich allmählich und waren über lange Zeit hinweg wirksam. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass einzelne Wikingerhöfe bereits zu verschiedenen Zeitpunkten vor der endgültigen Katastrophe aufgegeben wurden. Auf dem Fußboden eines großen Hauses im größten Anwesen des Vatnahverfi-Distrikts der Östlichen Siedlung fand man den Schädel eines 25-jährigen Mannes, der mit der Radiokarbonmethode auf das Jahr 1275 datiert wurde. Man kann also annehmen, dass der ganze Vatnahverfi-Distrikt bereits zu dieser Zeit aufgegeben wurde und dass es sich bei dem Fund um einen der letzten Bewohner handelte - Überlebende hätten den Toten sicher bestattet und die Leiche nicht einfach auf dem Fußboden liegen lassen. Die letzten Radiokarbondatierungen von Höfen im Qorlortoq-Tal der Östlichen Siedlung häufen sich um das Jahr 1300. Der »Hof unter dem Sand« in der Westlichen Siedlung wurde um 1350 aufgegeben und unter ausgewaschenem Gletschersand begraben.
Von den beiden Ansiedlungen der Wikinger verschwand die kleinere Westliche Siedlung als Erste völlig. Unsere Informationen über ihr Ende stammen aus zwei Quellen: schriftlichen Überlieferungen und archäologischen Befunden. Der schriftliche Bericht stammt von einem Geistlichen namens Ivar Bardarson, den der Bischof von Bergen aus Norwegen nach Grönland schickte, wo er als Vertrauensmann und Steuereintreiber des Königs arbeiten und gleichzeitig über den Zustand der Kirche berichten sollte. Kurz nachdem Bardarson 1362 nach Norwegen zurückgekehrt war, verfasste er eine Beschreibung Grönlands-, der ursprüngliche Text dieses Werkes ist nicht erhalten; wir kennen es nur aus späteren Abschriften. Bei den noch vorhandenen Teilen handelt es sich vorwiegend um Listen grönländischer Kirchen und Grundbesitztümer, und dazwischen versteckt sich ein empörend kurzer Bericht über das Ende der Westlichen Siedlung: »In der Westlichen Siedlung steht ein großes Gotteshaus, die Kirche von Stensnes [Sandnes]. Diese Kirche war eine Zeit lang Kathedrale und Bischofssitz. Jetzt haben die skraelings [Wichte, das heißt die Inuit] die ganze Westliche Siedlung in Besitz genommen ... Alles zuvor Genannte wurde uns von Ivar Bardarson Grönländer berichtet, der viele Jahre der Aufseher der bischöflichen Einrichtungen von Gardar war; er hat das alles gesehen und war einer
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