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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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und Italiener, aber auch Dänen und Schweden selbst - in anderen Regionen der Erde auf Ureinwohner trafen. Viele europäische Siedler wurden zu Vermittlern und entwickelten eine zusammenhängende Handelswirtschaft: Europäische Kaufleute ließen sich nieder oder besuchten Regionen der Ureinwohner, brachten europäische Waren mit, die von den Ureinwohnern geschätzt wurden, und erhielten im Gegenzug einheimische Produkte, die in Europa einen hohen Wert hatten. Die Inuit waren beispielsweise so begierig auf Metall, dass sie sich die Mühe machten, kalt geschmiedete Eisenwerkzeuge aus dem Eisen des Meteors von Kap York herzustellen, der im Norden Grönlands niedergegangen war. Man hätte sich also gut einen Handel vorstellen können, bei dem die Wikinger Walross- und Narwalzähne, Robbenfelle und Eisbären von den Inuit erhielten und diese Güter im Tausch für das Eisen, dass die Inuit so schätzten, nach Europa schickten. Ebenso hätten die Wikinger den Inuit Kleidung und Milchprodukte liefern können: Selbst wenn die Inuit wegen ihrer Lactoseintoleranz keine Milch tranken, hätten sie lactosefreie Milchprodukte wie Käse und Butter verzehren können, die Dänemark heute nach Grönland exportiert. Nicht nur für die Wikinger, sondern auch für die Inuit bestand in Grönland häufig die Gefahr von Hungersnöten, und die Inuit hätten Milchprodukte der Wikinger eintauschen können, um so diese Gefahr zu verringern und ihre Ernährung vielfältiger zu gestalten. Nach 1721 entwickelte sich ein solcher Handel zwischen Skandinaviern und Inuit in Grönland sehr schnell: Warum gab es ihn nicht bereits im Mittelalter?
    Eine Antwort liegt in den kulturellen Hindernissen, die Eheschließungen und sogar dem Lernen zwischen Wikingern und Inuit im Wege standen. Eine Inuitfrau wäre für einen Wikinger nicht annähernd so nützlich gewesen wie eine Ehefrau aus seinem eigenen Volk: Die Wikinger verlangten von ihren Frauen, dass sie weben und Wolle spinnen konnten, Kühe und Schafe versorgten und molken, skyr , Butter und Käse herstellten - alles Fähigkeiten, welche die Mädchen bei den Wikingern von klein auf erlernten, bei den Inuit aber nicht. Selbst wenn ein normannischer und ein Inuit-Jäger sich anfreundeten, konnte der Wikinger sich nicht einfach von seinem Freund das Kajak leihen und dessen Benutzung erlernen, denn das Kajak war, wie erwähnt, letztlich ein sehr kompliziertes, individuell angefertigtes Kleidungsstück, das mit einem Boot verbunden war und nur diesem einen Jäger passte; hergestellt hatte es die Ehefrau des Inuit, die (im Gegensatz zu Wikingermädchen) seit frühester Kindheit gelernt hatte, wie man Tierhäute zusammennäht. Der normannische Jäger, der ein Kajak der Inuit gesehen hatte, konnte also nicht nach Hause gehen und seiner Frau sagen, sie solle ihm »auch so etwas nähen«.
    Wer eine Inuitfrau dazu veranlassen wollte, ein Kajak nach den eigenen Körpermaßen herzustellen, oder wer gar ihre Tochter heiraten wollte, hätte zunächst einmal eine freundliche Beziehung herstellen müssen. Aber wie wir bereits erfahren haben, hatten die Wikinger von Anfang an eine »negative Einstellung«: Sie bezeichneten sowohl die nordamerikanischen Indianer in Vinland als auch die Inuit in Grönland als »Wichte« und töteten an beiden Stellen die ersten Einheimischen, die ihnen begegneten. Als kirchlich orientierte Christen hegten auch die Wikinger gegenüber den Heiden jene tiefe Verachtung, die im mittelalterlichen Europa weit verbreitet war.
    Außerdem dürfte zu der negativen Haltung noch ein anderer Faktor beigetragen haben: Die Wikinger hielten sich selbst für die ursprünglichen Bewohner der Nordrseta, und die Inuit galten ihnen als Eindringlinge. Als diese einwanderten, gingen die Wikinger schon seit mehreren Jahrhunderten in den nördlichen Revieren auf die Jagd. Als die Inuit schließlich aus dem Nordwesten Grönlands hinzukamen, mochten die Wikinger ihnen verständlicherweise keine Gegenleistung für die Wahlrosszähne zugestehen, deren Jagd sie für ihr eigenes Privileg hielten. Als die Wikinger mit den Inuit zusammentrafen, litten sie auch selbst unter verzweifelter Eisenknappheit, und gerade Eisen war die Handelsware, die bei den Inuit am höchsten geschätzt wurde.
    In unserer heutigen Welt, in der alle »indigenen Völker« mit Ausnahme weniger Stämme in den abgelegensten Teilen des Amazonasgebietes und Neuguineas bereits mit Europäern in Kontakt gekommen sind, liegen die Schwierigkeiten bei der

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