Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
sind meines Wissens alles, was man in Normannisch-
    Grönland aus den Jahrhunderten der Koexistenz von Inuit und Wikingern gefunden hat. Und auch bei diesen fünf Gegenständen handelt es sich offensichtlich nicht um kostbare Handelswaren, sondern um weggeworfene Kuriositäten, die irgendein Wikinger aufgesammelt hatte. Erstaunlich ist, dass die vielen nützlichen Produkte der Inuit-Technologie völlig fehlen, obwohl die Wikinger von ihrer Nachahmung stark profitiert hätten. So gibt es beispielsweise an den Wikinger-Fundstätten keine einzige Harpune, kein Speer-Katapult, kein Kajak oder umiaq.
    Hätte sich zwischen Inuit und Wikingern tatsächlich ein Handel entwickelt, wäre es dabei höchstwahrscheinlich auch um Walrosselfenbein gegangen, denn die Inuit waren geschickte Jäger, und für die Wikinger war es das Wertvollste, was sie nach Europa exportieren konnten. Unmittelbare Belege für einen solchen Handel wären für uns leider nur schwer zu erkennen: Ob die Elfenbeinstücke, die man auf vielen Wikingerhöfen gefunden hat, von Wahlrossen stammen, die von den Wikingern selbst oder von Inuit erlegt wurden, lässt sich nicht feststellen. Mit Sicherheit finden wir aber an den Wikinger-Fundstätten nicht die Knochen der Tiere, die nach meiner Überzeugung das Kostbarste waren, was die Inuit den Wikingern hätten verkaufen können: Ringelrobben, im Winter die am weitesten verbreiteten Robben Grönlands, die von den Inuit erfolgreich gejagt wurden, nicht aber von den Wikingern; sie standen zu einer Jahreszeit zur Verfügung, als bei den Wikingern stets die Gefahr drohte, dass die Nahrungsvorräte zur Neige gingen und eine Hungersnot ausbrach. Für mich liegt deshalb die Vermutung nahe, dass es zwischen den beiden Völkern nur einen sehr geringen oder gar keinen Handel gab. Was die archäologischen Anhaltspunkte für Kontakte betrifft, hätten die Inuit ebenso gut auf einem anderen Planeten leben können als die Wikinger, und das, obwohl sie sich in Wirklichkeit dieselbe Insel und dieselben Jagdreviere teilten. Ebenso wenig haben wir anatomische oder genetische Anhaltspunkte für Eheschließungen zwischen Inuit und Wikingern. Die Schädel der Wikinger, die in Grönland auf den Friedhöfen beigesetzt wurden, ähneln eingehenden Untersuchungen zufolge den Schädeln europäischer Skandinavier; eine Vermischung von Inuit und Wikingern wurde in keinem einzigen Fall nachgewiesen.
    Dass die Wikinger weder Handelsbeziehungen zu den Inuit aufbauten noch von ihnen lernten, stellt aus unserer Sicht einen gewaltigen Verlust dar, sie selbst schätzten es aber offensichtlich nicht so ein. Dass es nicht dazu kam, lag nicht an mangelnden Gelegenheiten. Normannische Jäger müssen die Jäger der Inuit in der Nordrseta gesehen haben, und dann tauchten die Inuit auch an den Fjordmündungen bei der Westlichen Siedlung auf. Angesichts ihrer eigenen schweren hölzernen Ruderboote und ihrer Methoden zur Jagd auf Walrosse und Robben müssen die Wikinger erkannt haben, dass die Inuit ihnen mit ihren Jagdmethoden und den leichten Fellbooten überlegen waren: Den Inuit gelang genau das, was die normannischen Jäger vergeblich anstrebten. Als europäische Entdecker Ende des 16. Jahrhunderts wieder nach Grönland kamen, waren sie sofort verblüfft über die Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit der Kajaks. Sie beschrieben die Inuit als halbe Fische, die viel schneller durch das Wasser schossen als jedes europäische Boot. Ebenso beeindruckt waren sie von den umiaqs der Inuit, ihrer Treffsicherheit, ihren Kleidungsstücken, Booten und Handschuhen aus Tierhäuten, ihren Harpunen, blasenförmigen Schwimmern, Hundeschlitten und Methoden für die Robbenjagd. Als die Dänen ab 1721 Grönland kolonisierten, machten sie sich sofort die Inuit-Technologie zu Eigen: Sie fuhren mit Inuitumiaqs an der Küste der Insel entlang und trieben Handel mit den Ureinwohnern. Schon nach wenigen Jahren hatten die Dänen mehr über Harpunen und Ringelrobben gelernt als die Wikinger in Jahrhunderten. Aber manche dänischen Siedler waren rassistische Christen: Genau wie die mittelalterlichen Wikinger verachteten sie die heidnischen Inuit.
    Wenn man vorurteilsfreie Vermutungen darüber anstellen will, welche Form die Beziehungen zwischen Wikingern und Inuit hätten annehmen können, kommt man aufzahlreiche Möglichkeiten; diese verwirklichten sich in späteren Jahrhunderten, als Europäer - Spanier, Portugiesen, Franzosen, Briten, Russen, Belgier, Niederländer, Deutsche

Weitere Kostenlose Bücher