Kollaps
Peru nachgewiesen wurden, auf Neuguinea schließen kann, dürften Dürre und Frost als dritte Belastung für die Gesellschaft im Hochland hinzugekommen sein.
Nach einer noch größeren Zunahme der Menge an Kasuarinenpollen vor 300 bis 600 Jahren zu schließen, weiteten die Hochlandbewohner die Silvikultur in diesem Zeitraum noch stärker aus; den Anlass dürften zwei weitere Ereignisse gegeben haben: einerseits die Tibito Tephra, ein noch größerer Ascheregen, der die Bodenfruchtbarkeit und das Bevölkerungswachstum stärker stimulierte als die Ogowila Tephra; der Ascheregen stammte auch dieses Mal von Long Island, und der zugehörige Vulkanausbruch war die unmittelbare Ursache für das Loch mit dem See, den ich bei meinem Besuch sah; und andererseits möglicherweise die Tatsache, dass zu jener Zeit die Süßkartoffel aus den Anden in das Hochland Neuguineas gelangte, sodass nun Pflanzenerträge möglich wurden, die um ein Mehrfaches höher waren als mit den bisherigen einheimischen Arten.
Nachdem die Kasuarinen-Silvikultur sich im Wahgi- und Baliem-Tal durchgesetzt hatte (was man am Pollen in Bohrkernen ablesen kann), verbreitete sie sich zu verschiedenen späteren Zeitpunkten auch in anderen Regionen des Hochlandes, und in einigen abgelegenen Gebieten setzte sie sich erst im 20. Jahrhundert durch. Später kamen möglicherweise in anderen Gebieten weitere, unabhängige Erfindungen hinzu.
Ich habe die Kasuarinen-Silvikultur im Hochland Neuguineas als Beispiel für eine Problemlösung von unten nach oben dargestellt, obwohl es keine schriftlichen Aufzeichnungen darüber gibt, wie sie sich im Einzelnen durchsetzte. Anders kann es aber kaum gewesen sein, denn die Gesellschaften der Region stellen einen Extremfall der basisdemokratischen Entscheidungsfindung dar. Bevor in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts die niederländische und australische Kolonialregierung eingesetzt wurde, gab es in keinem Teil des Hochlandes auch nur ansatzweise so etwas wie politische Einheit: Immer kämpften einzelne Dörfer gegeneinander, oder sie taten sich zu vorübergehenden Bündnissen zusammen, um gegen andere Nachbardörfer zu Felde zu ziehen. Innerhalb der einzelnen Dörfer gab es keine Häuptlinge, die ihr Amt ererbt hatten, sondern nur so genannte »große Männer«, die aufgrund ihres Charakters mehr Einfluss hatten als andere; auch sie lebten aber wie alle anderen in einer Hütte und bestellten wie alle anderen ihre Felder. Entscheidungen wurden (und werden in vielen Fällen bis heute) dadurch getroffen, dass alle Dorfbewohner sich zusammensetzten und redeten, redeten, redeten.
Die großen Männer konnten keine Befehle erteilen, sondern nur mehr oder weniger erfolgreich versuchen, andere von ihren Vorstellungen zu überzeugen. Heute ist diese basisdemokratische Form der Entscheidungsfindung für Außenstehende (zu denen nicht nur ich gehöre, sondern vielfach auch Beamte der Regierung Neuguineas) häufig frustrierend, weil man nicht zu einem Häuptling gehen und dort eine schnelle Antwort auf eine Frage bekommen kann; immer muss man sich gedulden und stunden- oder tagelange Gespräche mit allen Dorfbewohnern führen, die ihre Meinung äußern wollen.
Vor diesem Hintergrund müssen sich auch die Kasuarinen-Silvikultur und alle anderen nützlichen landwirtschaftliehen Methoden im Hochland von Neuguinea durchgesetzt haben. In jedem Dorf konnten die Menschen sehen, wie der Wald um sie herum dahinschwand; sie erkannten, dass ihre Pflanzen schlechter wuchsen, wenn die Fruchtbarkeit der Felder nach der anfänglichen Rodung verloren ging, und sie erlebten die Folgen von Holz- und Brennstoffknappheit. Die Bewohner Neuguineas sind neugieriger und experimentierfreudiger als alle anderen Menschen, die mir begegnet sind. Wenn ich in meinen ersten Jahren in Neuguinea mitbekam, wie jemand gerade einen Bleistift bekommen hatte - der damals noch ein ungewöhnlicher Gegenstand war -, wurde dieser Bleistift außer zum Schreiben für unzählige andere Zwecke ausprobiert: Eignete er sich als Haarschmuck? Als Werkzeug zum Stechen? Zum Kauen? Als langer Ohrring? Zur Befestigung in der durchlöcherten Nasenscheidewand? Wenn ich Menschen aus Neuguinea mitnehme, damit sie mit mir in anderen Gebieten außerhalb des eigenen Dorfes arbeiten, pflücken sie ständig die Pflanzen der Gegend, fragen die Einheimischen nach ihrem Nutzen und wählen einige Exemplare aus, um sie mit nach Hause zu nehmen und sie dort anzupflanzen. Auf diese Weise dürfte
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