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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Land gibt.«
    Mit den traditionellen kleinen Kanus von Tikopia war die Reise über den offenen, wirbelsturmgeplagten Südwestpazifik zu einer der nächsten Nachbarinseln ein gefährliches Unternehmen, den Inselbewohnern galt sie aber auch als großes Abenteuer. Da die Kanus klein waren und da solche Reisen außerdem nur selten stattfanden, konnte man nur wenige Waren einführen; die einzigen wirtschaftlich bedeutsamen Importe waren Steine zur Herstellung von Werkzeugen und unverheiratete junge Menschen aus Anuta als Ehepartner. Da das Gestein von Tikopia sich für die Werkzeugherstellung nicht eignet (genau wie wir es in Kapitel 3 bereits für Mangareva und Henderson erfahren haben), wurden Obsidian, vulkanisches Glas, Basalt und Flintstein aus Vanua Lava und Vanikoro importiert, und zum Teil stammten diese Steine ihrerseits von noch weiter entfernten Inseln im Bismarck-, Salomonen- und SamoaArchipel. Weitere Importwaren waren Luxusgüter wie Muschelschalen zu Schmuckzwecken, Pfeile und Bogen und (früher) Keramik.
    Grundnahrungsmittel in so großen Mengen zu importieren, dass sie nennenswert zur Ernährung der Bewohner von Tikopia beitragen konnten, kam nicht infrage. Insbesondere mussten die Inselbewohner so große Lebensmittelüberschüsse produzieren, dass sie in der alljährlichen Trockenzeit im Mai und Juli sowie nach den Wirbelstürmen, die in unberechenbaren Abständen die Felder zerstörten, nicht hungern mussten. (Tikopia liegt im Zyklongürtel des Pazifiks, in dem durchschnittlich 20 große Wirbelstürme pro Jahrzehnt auftreten.) Um auf Tikopia überleben zu können, mussten die Menschen also 3000 Jahre lang zwei Probleme lösen: Wie kann man zuverlässig Lebensmittel für 1200 Menschen produzieren? Und wie verhindert man, dass die Bevölkerung zu stark anwächst und nicht mehr zu ernähren ist?
    Unsere Hauptinformationsquelle über die traditionelle Lebensweise der Bewohner von Tikopia sind die Beobachtungen von Firth, die eine der klassischen Untersuchungen der Anthropologie darstellen. Europäer hatten die Insel zwar bereits 1606 »entdeckt«, wegen ihrer isolierten Lage blieb der europäische Einfluss aber bis ins 19. Jahrhundert hinein sehr gering; die ersten Missionare kamen 1857, und erst nach 1900 wurden die ersten Inselbewohner zum Christentum bekehrt. Deshalb konnte Firth 1928/29 besser als spätere Anthropologen eine Kultur beobachten, die noch viele traditionelle Elemente enthielt, auch wenn sie sich bereits im Wandel befand.
    Die nachhaltige Lebensmittelproduktion wird auf Tikopia von einigen ökologischen Faktoren begünstigt, die bereits in Kapitel 2 erörtert wurden, weil die Gesellschaften auf manchen Pazifikinseln ihretwegen nachhaltiger und weniger anfällig für Umweltzerstörungen waren als andere. Gefördert wird die Nachhaltigkeit auf Tikopia durch die hohen Niederschlagsmengen, eine relativ geringe geographische Breite und die Lage in einem Bereich mit starkem Vulkanascheniederschlag (von Vulkanen auf anderen Inseln) sowie starken Niederschlag von Staub aus Asien.
    Diese Faktoren sind für die Bewohner von Tikopia ein geographischer Glücksfall: Sie verschaffen ihnen ohne eigenes Zutun günstige Bedingungen. Im Übrigen ist ihr Glück aber dem zuzuschreiben, was sie selbst geleistet haben. Es gibt nicht die Brandrodung, die auf vielen anderen Pazifikinseln üblich ist, sondern praktisch die gesamte Insel wird in kleinem Maßstab im Sinne einer kontinuierlichen, nachhaltigen Lebensmittelproduktion bewirtschaftet. Fast alle Pflanzenarten auf Tikopia werden von den Menschen auf diese oder jene Weise genutzt: Selbst das Gras dient auf den Feldern als Mulch, und wilde Bäume werden in Hungerzeiten als Nahrungsquelle herangezogen.
    Wenn man sich der Insel vom Meer aus nähert, scheint sie mit einem hohen, mehrstöckigen, urtümlichen Regenwald bedeckt zu sein, wie er unbewohnte Pazifikinseln überzieht. Erst wenn man gelandet ist und zwischen den Bäumen hindurchgeht, bemerkt man, dass der echte Regenwald sich auf wenige Abschnitte der steilsten Klippen beschränkt, während die ganze übrige Insel der Lebensmittelproduktion dient. Der größte Teil ihrer Fläche ist eine Plantage. Dort stehen als größte Bäume einheimische oder eingeführte Arten, die essbare Nüsse, Früchte oder andere nützliche Produkte liefern; am wichtigsten sind Kokosnüsse, Brotfrüchte und die Sagopalmen mit ihrem stärkehaltigen Mark. Weniger zahlreich, aber ebenfalls wertvolle, große Bäume sind die

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