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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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außerhalb des Hochlandes; die einzigen Handelsgüter waren Gegenstände, die man als Statussymbole schätzte wie Kaurimuscheln und die Federn von Paradiesvögeln. Neuguinea ist die große Insel nördlich von Australien. Es liegt fast genau auf dem Äquator und ist deshalb in den Niederungen von tropischem Regenwald bedeckt, aber im zerklüfteten Inneren wechseln steile Bergkämme und Täler ab, und den Höhepunkt bildet ein vergletschertes, fast 5000 Meter hohes Gebirge. Wegen des schwierigen Geländes beschränkten sich europäische Entdecker 400 Jahre lang auf die Küste und die Flusstäler in den Niederungen; zu dieser Zeit nahm man stets an, das Innere der Insel sei dicht bewaldet und unbewohnt.
    Deshalb erlebten Biologen und Bergleute, die in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts das Innere der Insel erstmals mit gecharterten Flugzeugen überflogen, einen regelrechten Schock: Die Landschaft unter ihnen war von Millionen Menschen gestaltet worden, und diese Menschen waren der Außenwelt völlig unbekannt. Die Landschaft hatte Ähnlichkeit mit den am dichtesten besiedelten Regionen der Niederlande: Breite, offene Täler mit wenigen Baumgruppen, bis zum Horizont eingeteilt in säuberlich angelegte Felder, die durch Bewässerungs- und Abflussgräben getrennt waren; steile Berghänge mit Terrassen erinnerten an Java oder Japan, und Dörfer waren zur Verteidigung von Palisadenzäunen umgeben. Als andere Europäer dann auf dem Boden zu den Entdeckungen der Piloten vordrangen, stellten sie fest, dass die Bewohner Bauern waren: Sie züchteten Taro, Bananen, Yamswurzeln, Zuckerrohr, Süßkartoffeln, Schweine und Hühner. Heute wissen wir, dass die vier zuerst genannten Nutzpflanzen (und einige weitere, weniger wichtige) in Neuguinea domestiziert wurden; das Hochland von Neuguinea war eines von nur neun unabhängigen Zentren der Pflanzendomestikation auf der Welt, und Landwirtschaft gibt es dort schon seit 7000 Jahren - eines der weltweit längsten Experimente in nachhaltiger Pflanzenproduktion.
    Den europäischen Entdeckern und Siedlern erschienen die Hochlandbewohner »primitiv«. Sie wohnten in strohgedeckten Hütten, befanden sich untereinander ständig im Kriegszustand, hatten keine Könige und nicht einmal Häuptlinge, konnten nicht schreiben und trugen selbst bei kaltem Wetter und starkem Regen so gut wie keine Kleidung. Metall kannten sie nicht: Ihre Werkzeuge bestanden aus Stein, Holz und Knochen. Bäume wurden beispielsweise mit Steinäxten gefällt, Felder und Gräben wurden mit Holzstöcken umgegraben, und man bekämpfte sich mit hölzernen Speeren und Pfeilen sowie mit Bambusmessern.
    Aber der »primitive« Eindruck erwies sich als trügerisch: Ihre landwirtschaftlichen Methoden sind so hoch entwickelt, dass europäische Agrarwissenschaftler in manchen Fällen bis heute nicht begreifen, warum die Verfahren funktionieren und warum gut gemeinte europäische Neuerungen dort versagen. Ein europäischer Landwirtschaftsberater musste in Neuguinea zum Beispiel zu seinem Entsetzen feststellen, dass ein Süßkartoffelbeet an einem steilen Abhang in einem feuchten Gebiet lag und durch Gräben entwässert wurde, die senkrecht den Hang hinunter verliefen. Er brachte die Dorfbewohner dazu, diesen Fehler zu korrigieren und die Gräben horizontal entsprechend den Höhenlinien anzulegen, wie es guter europäischer Praxis entspricht. Aus Respekt vor ihm bauten die Dorfbewohner ihre Gräben um, aber nun staute sich hinter den Gräben das Wasser, und nach einem schweren Regenguss beförderte ein Erdrutsch das ganze Beet den Hang hinunter in den darunter fließenden Fluss. Um genau diese Folge zu vermeiden, hatten die Bauern in Neuguinea schon lange vor der Ankunft der Europäer gelernt, welche Vorteile senkrechte Entwässerungsgräben unter den Wetter- und Bodenverhältnissen des Hochlandes haben.
    Auch viele andere Methoden haben die Bewohner Neuguineas im Lauf der Jahrtausende durch Ausprobieren gelernt; sie können damit Ackerbau in einer Region betreiben, in der jährlich bis zu 10 000 Millimeter Niederschlag fallen, wobei auch Erdbeben, Erdrutsche und (in den Höhenlagen) Frost häufig vorkommen. Um die Bodenfruchtbarkeit in den dicht besiedelten Gebieten zu erhalten, wo man nur mit kurzen Brachperioden oder sogar ununterbrochener Nutzung der Felder genügend Lebensmittel produzieren konnte, griffen sie neben der Silvikultur - was das ist, werde ich in Kürze erläutern - auf eine ganze Palette anderer Methoden

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