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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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irgendjemand vor 1200 Jahren auch die Kasuarinenkeimlinge an einem Fluss bemerkt haben; er brachte sie wie viele andere Pflanzen zum Ausprobieren mit nach Hause, stellte fest, dass sie auf dem Acker nützliche Wirkungen haben - und nachdem andere die Kasuarinen auf seinem Feld beobachtet hatten, versuchten sie selbst mit den Keimlingen ihr Glück.
    Neben den Problemen mit Holzversorgung und Bodenfruchtbarkeit mussten die Hochlandbewohner in Neuguinea auch mit dem zunehmenden Bevölkerungswachstum fertig werden. Die Zunahme der Einwohnerzahl wurde mit Methoden abgemildert, an die viele meiner einheimischen Freunde sich aus ihrer Kindheit noch erinnern können: insbesondere durch Krieg, Kindesmord, Empfängnisverhütung und Abtreibung mit pflanzlichen Mitteln sowie sexuelle Enthaltsamkeit und natürliche Unfruchtbarkeit, die mehrere Jahre andauerte, während ein Baby gestillt wurde. Damit entging die Gesellschaft in Neuguinea dem Schicksal der Osterinsel, Mangarevas, der Maya, der Anasazi und vieler anderer Gesellschaften, die sich durch Waldzerstörung und Bevölkerungswachstum zugrunde richteten. Den Hochlandbewohnern gelang es, vor der Einführung der Landwirtschaft mehrere zehntausend Jahre lang nachhaltig zu wirtschaften, und danach schafften sie es noch einmal 10 000 Jahre trotz aller Klimaveränderungen und trotz menschlicher Eingriffe in die Umwelt, durch die sich die Bedingungen ständig wandelten.
    Heute haben es die Menschen in Neuguinea durch den Erfolg des staatlichen Gesundheitswesens, die Einführung neuer Nutzpflanzen und die Beendigung oder Abnahme der kriegerischen Konflikte zwischen den Stämmen erneut mit einer Bevölkerungszunahme zu tun. Sie durch Kindesmord unter Kontrolle zu halten, ist aus gesellschaftlichen Gründen nicht mehr möglich. Aber die Bewohner Neuguineas mussten sich auch in der Vergangenheit bereits an große Veränderungen anpassen, so an das Aussterben der großen Tiere im Pleistozän, das Schmelzen der Gletscher und die Erwärmung am Ende der Eiszeit, die Entwicklung der Landwirtschaft, umfangreiche Waldzerstörung, Vulkanascheregen, El-Nino-Ereignisse, die Einführung der Süßkartoffeln und die Ankunft der Europäer. Werden sie jetzt ebenfalls in der Lage sein, sich auf die veränderten Bedingungen einzustellen, die sich aus der derzeitigen Bevölkerungsexplosion ergeben?
    Einen weiteren Erfolg verzeichnet die Bewirtschaftung von unten nach oben auf Tikopia, einer winzigen, abgelegenen tropischen Insel im Südwestpazifik. Auf ihrer Gesamtfläche von 4,66 Quadratkilometern leben 1200 Menschen, was einer Bevölkerungsdichte von etwa 310 Menschen je Quadratkilometer landwirtschaftlich nutzbarer Fläche entspricht. Für eine traditionelle Gesellschaft mit modernen landwirtschaftlichen Methoden ist das eine hohe Bevölkerungsdichte. Dennoch ist die Insel seit fast 3000 Jahren ununterbrochen besiedelt.
    Der Landflecken, der Tikopia am nächsten liegt, ist die noch kleinere (0,37 Quadratkilometer) Insel Anuta, auf der nur 170 Menschen wohnen. Die nächstgelegenen größeren Inseln, Vanua Lava im Vanuatu-Archipel und Vanikoro, das zu den Salomonen gehört, sind 230 Kilometer entfernt und haben ebenfalls nur eine Fläche von jeweils rund 260 Quadratkilometern. Der Anthropologe Raymond Firth, der 1928/29 ein Jahr lang auf Tikopia lebte und die Insel später noch mehrfach besuchte, schrieb: »Wer nicht wirklich auf dieser Insel gelebt hat, kann sich kaum vorstellen, wie stark sie von der übrigen Welt isoliert ist. Sie ist so klein, dass das Meer kaum einmal außer Sicht- oder Hörweite gerät. [Die größte Entfernung von der Inselmitte zur Küste beträgt rund 1200 Meter.] Das Raumgefühl der Einheimischen steht damit in einem eindeutigen Zusammenhang. Es ist für sie nahezu unmöglich, sich eine wirklich große Landmasse vorzustellen ... Einmal fragten mich einige von ihnen ganz ernsthaft: ›Freund, gibt es irgendwo ein Land, wo man das Meer nicht hört?‹ Die räumliche Beschränkung hat noch eine andere, weniger offenkundige Folge. Für alle räumlichen Beschreibungen verwenden sie die Ausdrücke landeinwärts und zum Meer. Eine Axt, die auf dem Fußboden eines Hauses liegt, wird auf diese Weise lokalisiert, und ich habe sogar gehört, wie ein Mann zu einem anderen sagte: ›Auf deiner meerseitigen Wange ist ein Schlammfleck.‹ Tag für Tag, Monat für Monat unterbricht nichts die gerade Linie eines klaren Horizonts, und kein noch so schwacher Dunst verrät, dass es auch anderswo

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