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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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südöstlich von Florida teilen. Vom Flugzeug aus erkennt man die Grenze als scharfe, gezackte Linie, die wie mit einem Messer quer über die Insel gezogen zu sein scheint. Sie trennt ganz abrupt eine dunklere, grüne Landschaft im Osten (die Dominikanische Republik) von blassen, braunen Flächen westlich davon (Haiti). Steht man am Boden auf der Grenze, blickt man an vielen Stellen Richtung Osten in einen Pinienwald, dreht man sich aber nach Westen, sieht man nichts als fast völlig baumlose Felder.
    In dem Kontrast, der an der Grenze so deutlich sichtbar ist, spiegelt sich ein Unterschied der beiden Staaten. Ursprünglich war die gesamte Insel größtenteils bewaldet: Die ersten europäischen Entdecker nennen als auffälligstes Merkmal die üppigen Wälder mit ihrem Überfluss an kostbarem Holz. Diese Wälder sind in beiden Staaten verloren gegangen, aber in Haiti ist dies in weitaus größerem Ausmaß geschehen, sodass es dort heute nur noch sieben nennenswerte Waldstücke gibt. Nur zwei davon sind als Nationalparks geschützt, und in beiden wird illegal Holz geschlagen. Die Dominikanische Republik ist heute noch zu 28 Prozent bewaldet, in Haiti ist es ein Prozent. Ich war überrascht, wie viele Wälder man in der Dominikanischen Republik sogar in den besten landwirtschaftlichen Regionen findet, die sich zwischen Santo Domingo und Santiago erstrecken, den beiden größten Städten des Landes. Wie überall auf der Welt, so führte die Waldzerstörung auch in Haiti und in der Dominikanischen Republik zu einem Mangel an Bauholz und anderem Baumaterial, zu Bodenerosion, einem Rückgang der Bodenfruchtbarkeit, Sedimentbelastung der Flüsse, weniger Schutz für Wassereinzugsgebiete und damit einem geringeren Potenzial für Elektrizitätserzeugung durch Wasserkraft, und einem Rückgang der Niederschläge. Alle diese Nachteile sind heute in Haiti stärker ausgeprägt als in der Dominikanischen Republik. Schlimmer als die anderen erwähnten Probleme ist dort der Mangel an Holz zur Herstellung von Holzkohle, die in diesem Land der wichtigste Brennstoff zum Kochen ist.
    Den Unterschieden in der Bewaldung der beiden Länder entsprechen auch die Unterschiede in der Wirtschaft. Beide sind arm. Sie leiden unter den üblichen Nachteilen der meisten tropischen Länder, die früher europäische Kolonien waren: korrupte oder schwache Regierungen, schwer wiegende Mängel in der Gesundheitsversorgung und eine geringere landwirtschaftliche Produktivität als in gemäßigten Breiten. Aber in allen diesen Punkten sind die Schwierigkeiten in Haiti weitaus größer als in der Dominikanischen Republik. Haiti ist das ärmste Land der Neuen Welt und weltweit eines der ärmsten außerhalb Afrikas. Seine chronisch korrupte Regierung bietet kaum staatliche Leistungen; große Teile der Bevölkerung leben ständig oder in regelmäßigen Abständen ohne öffentliche Elektrizitätsund Trinkwasserversorgung, ohne Kanalisation, medizinische Versorgung und Schulbildung. Haiti gehört zu den am stärksten überbevölkerten Ländern der Neuen Welt. Die Bevölkerungsdichte ist dort viel höher als in der Dominikanischen Republik - Haiti nimmt nur knapp ein Drittel der Fläche von Hispaniola ein, beherbergt aber zwei Drittel der Bevölkerung (etwa zehn Millionen Menschen), und die Bevölkerungsdichte liegt bei fast 400 Menschen je Quadratkilometer. Die meisten dieser Bewohner sind Kleinbauern. Die bescheidene Marktwirtschaft besteht vorwiegend aus einer geringen Kaffee- und Zuckerproduktion, die für den Export bestimmt ist; nur 20 000 Menschen arbeiten zu Niedriglöhnen in Freihandelszonen an der Herstellung von Bekleidung und anderen Exportwaren, an der Küste gibt es ein paar Urlaubsenklaven, wo ausländische Touristen sich von den Problemen Haitis abschotten können, und ein umfangreicher, aber nicht bezifferbarer Drogenhandel läuft durch das Land von Kolumbien in die Vereinigten Staaten.
    Es besteht eine extreme Polarisierung zwischen der großen Masse der Armen, die in ländlichen Gebieten oder in den Slums der Hauptstadt Port-au-Prince leben, und einer winzigen reichen Oberschicht in dem Vorort Petionville, der in kühler Gebirgslage ungefähr eine halbe Autostunde vom Zentrum der Hauptstadt entfernt ist und sich teurer Restaurants mit Spitzenweinen erfreut. Mit seinem Bevölkerungswachstum sowie dem Anteil an AIDS-, Tuberkulose- und Malariainfizierten liegt das Land weltweit in der Spitzengruppe. In Haiti muss sich jeder Besucher zwangsläufig die

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