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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Frage stellen, ob es für das Land überhaupt eine Hoffnung gibt, und die übliche Antwort lautet: nein.
    Auch die Dominikanische Republik ist ein Entwicklungsland, und sie hat die gleichen Probleme wie Haiti. Aber die Entwicklung ist hier weiter vorangeschritten, und die Probleme sind weniger akut. Das Pro-Kopf-Einkommen ist fünfmal höher, Bevölkerungsdichte und Bevölkerungswachstum sind geringer. Während der letzten 38 Jahre war die Dominikanische Republik zumindest auf dem Papier eine Demokratie, es gab keinen Militärputsch, und seit 1978 führten mehrere Präsidentenwahlen jeweils zur Niederlage des Amtsinhabers und zur Machtübernahme durch den Herausforderer; andere wurden allerdings durch Betrug und Einschüchterung manipuliert. Die Wirtschaft boomt. Zu den Betrieben, die Devisen erwirtschafteten, gehören eine Eisen- und eine Nickelmine, bis vor kurzem eine Goldmine und früher ein Bauxitabbau; Industrie-Freihandelszonen beschäftigen 200 000 Arbeitskräfte und exportieren ins Ausland; die Landwirtschaft exportiert Kaffee, Kakao, Tabak, Zigarren, Schnittblumen und Avocados (die Dominikanische Republik ist für Avocados weltweit das drittgrößte Exportland): es gibt eine Telekommunikationsbranche und eine große Tourismusindustrie. Mehrere Dutzend Staudämme erzeugen Elektrizität mit Wasserkraft. Und jeder amerikanische Sportfan weiß, dass die Dominikanische Republik auch große Baseballspieler hervorbringt und exportiert.
    Der Kontrast zwischen den beiden Ländern spiegelt sich auch in ihren Nationalparksystemen wider. In Haiti gibt es nur vier Parks, und auch die sind gefährdet, weil Bauern die Bäume fällen, um Holzkohle herzustellen. Die Dominikanische Republik dagegen verfügt über ein umfassendes System von Naturschutzgebieten, das im Verhältnis zur Fläche des Landes das größte in ganz Amerika ist. Insgesamt gehören 32 Prozent des Staatsgebietes zu 74 Nationalparks oder Naturschutzgebieten, in denen alle wichtigen natürlichen Lebensräume vertreten sind. Natürlich leidet das System auch hier an zahlreichen Problemen und mangelnder Finanzierung, aber für ein armes Land, das mit vielen anderen Schwierigkeiten zu kämpfen hat und andere Prioritäten setzt, ist es dennoch beeindruckend.
    Hinter den Schutzgebieten steht hier eine lebhafte Naturschutzbewegung mit zahlreichen nichtstaatlichen Organisationen, die dem Land nicht von ausländischen Beratern übergestülpt wurden, sondern mit Bürgern der Dominikanischen Republik selbst besetzt sind.
    Alle diese Unterschiede von Waldflächen, Wirtschaft und Naturschutz haben sich herausgebildet, obwohl beide Staaten sich dieselbe Insel teilen. Ebenso haben sie die gleiche Vergangenheit mit europäischer Kolonialherrschaft und amerikanischer Eroberung, die gleiche überwiegend katholische Religion neben einer Vielzahl von Vodoo-Kulten (die in Haiti stärker auffallen) und die gleiche gemischte afrikanisch-europäische Abstammung (wobei der Anteil der Menschen mit afrikanischen Vorfahren in Haiti größer ist). Während drei Phasen ihrer Geschichte waren sie als Kolonie oder Staat vereinigt.
    Dass trotz dieser Ähnlichkeiten solche Unterschiede bestehen, wird noch verblüffender angesichts der Tatsache, dass Haiti früher viel reicher und mächtiger war als sein Nachbar. Im 19. Jahrhundert gab es in der Dominikanischen Republik mehrere haitianische Invasionen, und einmal wurde das Land 22 Jahre lang besetzt. Warum verlief die weitere Geschichte in den beiden Ländern so unterschiedlich, und warum erlebte Haiti im Vergleich zur Dominikanischen Republik einen viel steileren Niedergang? Zwischen den Inselhälften bestehen einige ökologische Unterschiede, die zu diesem Ergebnis beitrugen, aber das allein reicht als Erklärung bei weitem nicht aus. Zum größten Teil liegen die Ursachen in der unterschiedlichen Geschichte der beiden Völker, in ihren Einstellungen, ihrer selbst definierten Identität, ihren Institutionen und in jüngerer Zeit in den jeweiligen politischen Führungsgestalten. Wer dazu neigt, ökologische Geschichte als »Umweltdeterminismus« zu karikieren, findet in der gegensätzlichen Geschichte der Dominikanischen Republik und Haitis ein nützliches Gegenmittel. Ja, ökologische Probleme stellen für die Gesellschaften der Menschen eine Einschränkung dar, aber entscheidend ist auch, wie die Gesellschaften darauf reagieren. Das Gleiche gilt zum Besseren wie zum Schlechteren für die Tätigkeit oder Untätigkeit ihrer

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