Kollaps
wirtschaftlich praktikabel ist, und das geschieht so lange, bis die Ader nichts mehr hergibt. Der Abbau von Mineralien ist deshalb ganz etwas anderes als die Nutzung erneuerbarer Ressourcen - beispielsweise Wälder, Fisch oder Mutterboden -, die sich durch die biologische Fortpflanzung oder Bodenbildung regenerieren. Erneuerbare Ressourcen kann man unbegrenzt nutzen, vorausgesetzt, man entnimmt sie mit einer Geschwindigkeit, die geringer ist als die Geschwindigkeit ihrer Regeneration. Beutet man Wälder, Fische oder Mutterboden dagegen stärker aus, als es ihrer Erneuerung entspricht, sind auch sie eines Tages wie das Gold in der Goldmine nicht mehr vorhanden.
In Australien hat man erneuerbare Ressourcen abgebaut, als wären sie Erze, und das geschieht noch heute. Mit anderen Worten: Sie werden übermäßig ausgebeutet, ihre Regeneration hält damit nicht Schritt, und irgendwann gehen sie zur Neige. Bleibt es bei der derzeitigen Geschwindigkeit, werden Wälder und Fischgründe in Australien viel eher verschwinden als Kohle- und Eisenlagerstätten - eigentlich paradox angesichts der Tatsache, dass die einen erneuerbar sind, die anderen aber nicht.
Auch viele andere Länder beuten heute ihre Umwelt aus, aber Australien eignet sich für unsere letzte Fallstudie über Gesellschaften aus Geschichte und Gegenwart besonders gut. Das hat mehrere Gründe. Im Gegensatz zu Ruanda, Haiti, der Dominikanischen Republik und China ist es ein Industrieland, genau wie die Staaten, in denen vermutlich die meisten Leser dieses Buches leben. Bevölkerung und Wirtschaft sind aber kleiner und weniger vielschichtig als in den Vereinigten Staaten, Europa oder Japan, sodass man die Situation in Australien einfacher verstehen kann. Die australische Umwelt ist ökologisch außerordentlich empfindlich, empfindlicher vielleicht als in allen anderen Industriestaaten mit Ausnahme Islands. Deshalb haben viele Probleme, die letztlich auch andere Industriestaaten zugrunde richten können und dies in manchen Drittweltländern bereits getan haben - beispielsweise Überweidung, Versalzung, Bodenerosion, eingeschleppte Arten, Wasserknappheit und vom Menschen verursachte Trockenheit - in Australien schon jetzt bedrohliche Ausmaße angenommen. Da Australien aber andererseits keine Anzeichen eines Zusammenbruchs wie in Ruanda und Haiti erkennen lässt, vermittelt es uns einen Vorgeschmack auf die Probleme, die auch in anderen Industriestaaten auftauchen werden, wenn sich die derzeitige Entwicklung fortsetzt. Aber die Aussichten auf eine Lösung dieser Probleme in Australien sind nicht deprimierend, sondern sie machen Hoffnung. Australien hat eine Bevölkerung mit guter Schulbildung, einen hohen Lebensstandard und im weltweiten Vergleich relativ seriöse politische und wirtschaftliche Institutionen. Deshalb kann man die Umweltprobleme Australiens nicht als Folge von ökologischem Missmanagement durch eine ungebildete, entsetzlich verarmte Bevölkerung und korrupte Regierungen oder Unternehmen abtun, während man vielleicht geneigt wäre, sie in manchen anderen Ländern mit einer solchen Erklärung unter den Tisch zu kehren.
Darüber hinaus hat Australien als Thema dieses Kapitels den Vorteil, dass es sehr deutlich die fünf Faktoren erkennen lässt, deren Wechselspiel ich in diesem Buch immer wieder als nützliches Hilfsmittel bezeichnet habe, wenn man den ökologischen Niedergang oder Zusammenbruch von Gesellschaften verstehen will. Dass die Menschen massiv in die australische Umwelt eingegriffen haben, liegt auf der Hand. Heute verschärfen sich diese Beeinträchtigungen durch den Klimawandel. Die freundschaftlichen Beziehungen zu Großbritannien, das Handelspartner und gesellschaftliches Vorbild war, haben die Umwelt- und Bevölkerungspolitik Australiens geprägt. Das moderne Australien hat keine Invasion durch äußere Feinde erlebt - es wurde zwar bombardiert, aber nicht besetzt -, und die Wahrnehmung tatsächlicher oder vermeintlicher Feinde aus Übersee hat der australischen Umwelt- und Bevölkerungspolitik ebenfalls ihren Stempel aufgedrückt. Ebenso macht das Land deutlich, wie stark man kulturelle Werte - darunter manche, die importiert wurden und sich nicht für die australische Landschaft eignen - in Betracht ziehen muss, wenn man die Beeinträchtigung der Umwelt verstehen will. Die Australier denken mittlerweile vielleicht radikaler als die Bürger aller anderen mir bekannten Industriestaaten über die entscheidende Frage nach: Welche unserer
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