Kollaps
gebrauche und nicht in dem abwertenden Sinn, in dem es den Gang eines Betrunkenen bezeichnet). Bei dieser Metapher denke ich an das in meinen Augen charakteristischste Merkmal der chinesischen Geschichte, das ich bereits in meinem Buch Arm und Reich erörtert habe. Wegen geographischer Faktoren - China hat eine relativ glatte Küstenlinie, Halbinseln von der Größe Italiens und der iberischen Halbinsel fehlen ebenso wie Inseln von den Ausmaßen Großbritanniens und Irlands, und die wichtigsten Flüsse fließen parallel - wurde das chinesische Kernland schon 221 v. Chr. vereinigt und hat diesen Zustand seither fast die gesamte Zeit beibehalten, während eine solche Einigung im geographisch zerrissenen Europa nie stattfand. Deshalb konnten die Mächtigen in China Veränderungen in einem viel größeren Gebiet anordnen als jeder europäische Herrscher - und dabei handelte es sich manchmal in rascher Folge um Veränderungen zum Besseren und zum Schlechteren (daher das »Torkeln«). Chinas Einheit und die Entscheidungen seiner Kaiser sind wahrscheinlich zumindest zum Teil eine Erklärung dafür, warum man in China zur Zeit der europäischen Renaissance die größten und besten Schiffe der Welt entwickelte, Flotten nach Indien und Afrika schickte, dann diese Flotten wieder auflöste und die Besiedelung von Überseekolonien den viel kleineren europäischen Staaten überließ; und es dürfte auch der Grund sein, warum China mit einer eigenen industriellen Revolution begann und sie dann nicht fortsetzte.
Die Chancen und Risiken der chinesischen Einheit sind bis in die jüngste Zeit bestehen geblieben, und auch heute torkelt China in wichtigen politischen Fragen, die mit seiner Umwelt und Bevölkerungsentwicklung zu tun haben. Einerseits konnte die politische Führung ihre Probleme in einem Umfang lösen, wie es in Europa oder Amerika kaum möglich gewesen wäre: Man konnte beispielsweise eine Ein-Kind-Politik zur Verminderung des Bevölkerungswachstums verordnen und die Holzgewinnung 1998 im ganzen Land verbieten. Andererseits konnten die politisch Verantwortlichen aber auch Unheil in einem Maßstab anrichten, der in Europa oder Amerika ebenfalls kaum denkbar wäre: Beispiele sind die chaotische Entwicklung durch den Großen Sprung Vorwärts, die Auflösung des nationalen Bildungssystems während der Kulturrevolution und (so würde jedenfalls manch einer sagen) die Umweltschäden, die sich aufgrund der drei Großprojekte abzeichnen.
Was die Folgen der derzeitigen chinesischen Umweltprobleme angeht, kann man nur eines mit Sicherheit behaupten: Bevor es besser wird, wird es wegen zeitlicher Verzögerungen und der Auswirkungen der bereits eingeleiteten Schäden zunächst noch schlimmer werden. Ein wichtiger Faktor, der sich sowohl zum Schlechteren als auch zum Besseren auswirken kann, ist die voraussichtliche Zunahme des chinesischen Außenhandels nach dem Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation. Durch die Senkung oder Abschaffung der Zölle werden die Exporte und Importe von Autos, Textilien, landwirtschaftlichen Produkten und vielen anderen Waren zunehmen. Schon jetzt exportiert die chinesische Industrie Fertigwaren in andere Länder, während die Schadstoffe, die bei ihrer Produktion entstanden sind, zurückbleiben. Ihre Menge wird voraussichtlich wachsen. Importe, beispielsweise Müll und Autos, haben die Umwelt bereits jetzt geschädigt, und auch ihre Menge wird zunehmen. Andererseits gelten in manchen Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation wesentlich strengere Umweltvorschriften, und dies wird China dazu zwingen, diese internationalen Standards zu übernehmen, damit seine Exportwaren in den betreffenden Ländern überhaupt eingeführt werden dürfen. Steigende Importe landwirtschaftlicher Produkte könnten in China die Möglichkeit schaffen, weniger Düngemittel und Pestizide einzusetzen und die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen mit geringer Produktivität zu vermindern. Gleichzeitig könnten steigende Öl- und Erdgasimporte dazu führen, dass die Luftverschmutzung durch Kohleverbrennung zurückgeht. Die Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation ist aber ein zweischneidiges Schwert: Durch die Steigerung der Importe und die damit verbundene Verminderung der Inlandsproduktion kann China seine ökologischen Schäden einfach in andere Länder verlagern, wie es beim Übergang von der Nutzung heimischer Hölzer zum Holzimport (bei dem China letztlich andere Länder dafür bezahlt, dass sie die
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