Kollaps
»Gruppendenken« bezeichnet. Insbesondere wenn eine kleine, verschworene Gruppe (beispielsweise die Berater des Präsidenten Kennedy während der Kubakrise oder die Berater des Präsidenten Johnson während der Eskalation des Vietnamkrieges) unter belastenden Umständen zu einer Entscheidung gelangen will, führen der Stress und das Bedürfnis nach gegenseitiger Unterstützung und Zustimmung häufig dazu, dass Zweifel und kritische Gedanken unterdrückt werden. Man macht sich gemeinsam Illusionen und gelangt vorschnell zu einer einheitlichen Meinung, die letztlich zu einer katastrophalen Entscheidung führt. Massenpsychologie und Gruppendenken wirken nicht nur in Zeiträumen von einigen Stunden, sondern manchmal auch über Jahre hinweg: Inwieweit sie zu katastrophalen Entscheidungen im Zusammenhang mit Umweltproblemen beitragen, die sich im Lauf von Jahrzehnten oder Jahrhunderten entwickeln, ist allerdings nicht geklärt.
Ich möchte noch einen letzten spekulativen Grund anführen, der auf irrationale Weise dazu führt, dass man sich nicht um die Lösung eines wahrgenommenen Problems bemüht: die Verdrängung. Dieser Begriff hat in der Individualpsychologie eine genau definierte Bedeutung, er hat aber auch Eingang in die volkstümliche Kultur gefunden.
Wenn eine Wahrnehmung schmerzhafte Gefühle hervorruft, wird sie unter Umständen unbewusst unterdrückt: Um die unerträglichen Schmerzen zu vermeiden, leugnet man die Wahrnehmung, obwohl daraus letztlich katastrophale praktische Folgen erwachsen können. Bei den Gefühlen, die eine solche Reaktion auslösen, handelt es sich meist um Entsetzen, Angst oder Trauer. Typische Beispiele sind die Blockade der Erinnerung an beängstigende Erlebnisse oder die Verweigerung gegenüber dem schmerzhaft traurigen Gedanken, dass Ehepartner, Kinder oder gute Freunde sterben können.
Stellen wir uns beispielsweise ein schmales Flusstal unterhalb eines hohen Staudammes vor. Wenn der Damm bricht, würden die Menschen auf einem beträchtlichen Abschnitt flussabwärts in dem herabstürzenden Wasser ertrinken. Befragt man in einer Meinungsumfrage die Einwohner unterhalb des Dammes, wie beunruhigend sie den Gedanken an einen Dammbruch finden, so stellt sich erwartungsgemäß heraus, dass die Besorgnis weit stromabwärts am geringsten ist und mit abnehmender Entfernung zum Damm größer wird. Überraschend ist aber, was man wenige Kilometer unterhalb des Dammes erfährt: Von einer Grenze aus, wo die Angst vor dem Dammbruch am größten ist, sinkt sie bis auf null ab, wenn man sich dem Damm noch weiter nähert! Mit anderen Worten: Die Bewohner unmittelbar unterhalb der Staumauer, die mit größter Sicherheit bei einem Dammbruch ertrinken würden, geben sich völlig unbesorgt. Die Ursache ist Verdrängung: Wenn man jeden Tag zu der Staumauer aufblickt, kann man seine geistige Gesundheit nur dadurch aufrechterhalten, dass man die Möglichkeit eines Dammbruches leugnet. Das Phänomen der Verdrängung ist in der Individualpsychologie gut belegt, es scheint aber auch in der Psychologie ganzer Gruppen vorzukommen.
Und selbst wenn eine Gesellschaft schließlich ein Problem vorhergesehen oder wahrgenommen hat und sich um eine Lösung bemüht, kann sie immer noch aus nahe liegenden Gründen scheitern: Vielleicht reichen unsere gegenwärtigen Fähigkeiten für eine Lösung nicht aus, oder eine mögliche Lösung ist unbezahlbar teuer, oder unsere Bemühungen sind zu schwach und kommen zu spät. Manche Lösungsversuche gehen nach hinten los und verschlimmern das Problem, wie beispielsweise die Einführung der Kröten in Australien zur Bekämpfung der Schadinsekten oder die Unterdrückung von Waldbränden im Westen der Vereinigten Staaten. Viele frühere Gesellschaften (beispielsweise die im mittelalterlichen Island) verfügten nicht über die detaillierten ökologischen Kenntnisse, die uns heute einen besseren Umgang mit den gleichen Problemen ermöglichen. In anderen Fällen entziehen sich ihre Probleme aber auch bis heute einer Lösung.
Denken wir beispielsweise noch einmal an Kapitel 8 und an die Wikinger in Grönland, denen es nach vier Jahrhunderten letztlich nicht mehr gelang, weiterhin zu überleben. Es ist nun einmal grausame Realität:
Während der letzten 5000 Jahre haben das kalte Klima in Grönland und die begrenzten, unberechenbar schwankenden Ressourcen es zu einer unüberwindlich schwierigen Aufgabe gemacht, auf Dauer eine nachhaltige Wirtschaft zu etablieren. Amerikanische
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