Kollaps
mit diesem Thema werden wir uns im letzten Kapitel beschäftigen.
Die genannten Beispiele zeigen, wie irrationales Verhalten im Zusammenhang mit Wertkonflikten eine Gesellschaft in manchen Fällen davon abhält, eine Lösung anerkannter Probleme zu versuchen, in anderen jedoch nicht. Aber auch andere irrationale Motive führen häufig dazu, dass Probleme nicht angegangen werden: Unter Umständen lehnt die Öffentlichkeit jene ab, die ein Problem als Erste wahrnehmen und ansprechen - so erging es der Grünen Partei in Tasmanien, die als Erste gegen die Einführung von Füchsen auf der Insel protestierte. Oder die Öffentlichkeit tut Warnungen als unbegründet ab, weil frühere Warnungen sich als falscher Alarm erwiesen haben; dann ergeht es ihr wie dem Hirtenjungen in Äsops Fabel, der immer wieder »Wolf!« geschrien hat, und als dann tatsächlich ein Wolf kommt, werden seine Hilferufe ignoriert. Oder die Öffentlichkeit wehrt die Verantwortung mit der Behauptung »das ist nicht unser Problem« ab.
Häufig unterbleibt der Versuch, ein erkanntes Problem zu lösen, weil bei ein und derselben Person ein irrationaler Konflikt zwischen kurz- und langfristigen Motiven besteht. Die Bauern in Ruanda und Haiti sind wie Milliarden andere Menschen auf der Welt entsetzlich arm und können in ihrer Verzweiflung nicht weiter denken als bis zu der nächsten Mahlzeit. In Gebieten mit tropischen Korallenriffen töten arme Fischer ihre Beute mit Dynamit und Cyankali (wobei sie nebenher auch die Riffe zugrunde richten), um heute ihren Kindern etwas zu essen zu geben, obwohl sie gleichzeitig ganz genau wissen, dass sie ihre zukünftige Lebensgrundlage zerstören. Auch Regierungen handeln immer wieder aus einer kurzfristigen Perspektive heraus: Sie fühlen sich durch bevorstehende Katastrophen überfordert und widmen ihre Aufmerksamkeit ausschließlich den Problemen, die unmittelbar vor der Explosion stehen. So erzählte mir beispielsweise ein Bekannter, der enge Verbindungen zur derzeitigen Bundesregierung in Washington hat, was er in der Hauptstadt erlebte, als er im Jahr 2000 kurz nach den Wahlen zum ersten Mal wieder in das Zentrum der Macht kam: Die neue Regierung hatte sich einen »90-Tage-Horizont« gesetzt. Sie erörterte nur Probleme, die das Potenzial hatten, innerhalb der nächsten 90 Tage zur Katastrophe zu führen. Wirtschaftswissenschaftler versuchen, eine solche irrationale Einengung des Blickwinkels auf kurzfristige Profite rational zu rechtfertigen, indem sie zukünftige Gewinne »diskontieren«: Sie behaupten, man solle eine Ressource besser heute ausbeuten, als einen Teil davon für eine zukünftige Verwertung unbeschädigt zu lassen, weil man die Gewinne aus der gegenwärtigen Nutzung wieder investieren kann, sodass die auf diese Weise angehäuften Investitionen in der Zeit bis zu einer zukünftigen Ausbeutung die gegenwärtige Nutzung wertvoller machen als jene in der Zukunft. In diesem Fall hat die nächste Generation die negativen Folgen zu tragen, aber diese Generation hat heute keine Wählerstimmen und kann sich nicht beschweren.
Andere mögliche Gründe für die irrationale Weigerung, eine Lösung wahrgenommener Probleme zu versuchen, gehören eher ins Reich der Spekulation. Einer davon ist ein allgemein bekanntes Phänomen der kurzfristigen Entscheidungsfindung, das als »Psychologie der Masse« bezeichnet wird. Einzelne Personen, die zu einer großen, einheitlichen Gruppe oder Masse gehören, werden sich insbesondere dann, wenn diese Masse emotional erregt ist, eher den Entscheidungen in dieser Gruppe anschließen, selbst wenn dieselben Personen zu anderen Entscheidungen gelangt wären, wenn sie allein und in Ruhe darüber nachgedacht hätten. Friedrich Schiller schrieb: »Jeder, sieht man ihn einzeln, / ist leidlich klug und verständig, / Sind sie in corpore, / gleich wird dir ein Dummkopf daraus.« Historische Beispiele für die Wirksamkeit der Massenpsychologie sind die Begeisterung der Europäer für die Kreuzzüge im späten Mittelalter, ungeheure Investitionen in hübsche Tulpen, die in Holland zwischen 1634 und 1636 mit der »Tulipomanie« ihren Höhepunkt erreichte, wiederkehrende Hexenjagden wie die Hexenprozesse von Salem im Jahr 1692 und die Aufhetzung der Massen durch geschickte Nazipropaganda in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts.
Eine ruhigere, kleinere Entsprechung zur Massenpsychologie, die sich in Gruppen von Entscheidungsträgern einstellen kann, wurde von Irvin Janis als
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