Kollaps
auch alle Säugetiere, Echsen, Schlangen und Frösche hüpften, liefen oder krochen quer über den Weg. Wie sich herausstellte, hatte man die Straße so konstruiert, dass zwei entgegenkommende Fahrzeuge sich gerade eben gefahrlos passieren konnten. Plattformen für die seismischen Untersuchungen und erste Probebohrungen hatte man aufgestellt, ohne überhaupt Zufahrtsstraßen zu bauen; die Versorgung erfolgte stattdessen mit dem Hubschrauber oder zu Fuß.
Die nächste Überraschung erlebte ich, als meine Maschine auf der Landepiste von Moro aufgesetzt hatte, und dann später noch einmal beim Abflug. Obwohl die Zollbehörden von Papua-Neuguinea mein Gepäck bereits bei der Einreise überprüft hatten, musste ich meine Koffer sowohl bei der Ankunft als auch beim Abflug auf dem ChevronFlugplatz noch einmal öffnen, und alles wurde so gründlich besichtigt, wie ich es ansonsten nur bei einem Flug ins israelische Tel Aviv erlebt hatte. Wonach suchten die Beamten? Beim Hinflug waren Feuerwaffen, Jagdausrüstung, Drogen und Alkohol verboten: beim Abflug hätte ich Tiere, Pflanzen, Vogelfedern oder andere Teile von Lebewesen schmuggeln können. Eine Verletzung dieser Vorschriften führt sofort zur automatischen Ausweisung aus dem gesamten Unternehmensgelände - diese Erfahrung musste eine arglose WWF-Sekretärin machen, die so dumm war, für jemand anderen ein Päckchen mitzunehmen (das, wie sich herausstellte, Drogen enthielt).
Am nächsten Morgen folgte eine weitere Überraschung: Ich war vor Tagesanbruch ein Stück die Straße entlanggegangen, hatte Vögel beobachtet und war wenige Stunden später zurückgekehrt. Daraufhin rief mich der Sicherheitsbeauftragte der Anlage in sein Büro und erklärte mir, ich sei bereits angezeigt worden, weil ich zwei Vorschriften von Chevron übertreten hätte, und dies dürfe nicht noch einmal vorkommen. Erstens hatte jemand gesehen, wie ich mich mehr als einen Meter weit auf die Fahrbahn begeben hatte, um einen Vogel zu beobachten. Damit hatte ich mich der Gefahr ausgesetzt, von einem Auto überfahren zu werden, oder das Auto hätte bei dem Versuch, mir auszuweichen, seitlich an der Straße eine Pipeline beschädigen und eine Ölpest verursachen können. Von jetzt an solle ich mich doch bitte neben der Straße halten, wenn ich Vögel beobachten wolle. Und zweitens hatte man gesehen, dass ich die Vögel beobachtete, ohne einen Schutzhelm zu tragen, was hier in der ganzen Gegend Pflicht war; mit diesen Worten gab mir der Sicherheitsbeauftragte einen Helm, den ich doch nun bitte auf meinen Beobachtungsgängen zu meinem eigenen Schutz tragen solle, nur für den Fall, dass ein Baum umstürzte.
Damit hatte ich einen ersten Eindruck davon, welche Sorge um Sicherheit und Umweltschutz man bei Chevron hatte und wie diese Sorge den Mitarbeitern eingeimpft wurde. Bei meinen vier Besuchen sah ich kein einziges Mal austretendes Öl, aber ich las die Berichte über Zwischenfälle und Beinahe-Zwischenfälle, die jeden Monat an den schwarzen Brettern ausgehängt wurden. Sie fielen in den Zuständigkeitsbereich des Sicherheitsbeauftragten, der mit dem Flugzeug oder Lastwagen unterwegs ist, um jeden einzelnen Fall zu untersuchen. Interessehalber notierte ich mir die gesamte Liste von 14 Zwischenfällen aus dem März 2003. Bei dem schlimmsten Beinahe-Unfall, der in diesem Monat eine genaue Untersuchung und eine Überprüfung der Sicherheitsvorschriften erforderte, hatte ein Lastwagen beim Zurücksetzen ein Stoppschild beschädigt; bei einem anderen Lastwagen war die Notbremse falsch eingestellt gewesen, bei einem Paket mit Chemikalien hatten die richtigen Papiere gefehlt, und man hatte festgestellt, dass Gas aus dem Sicherheitsventil eines Kompressors austrat.
Die letzte Überraschung schließlich erlebte ich bei meinen Vogelbeobachtungen. In Neuguinea kann man an dem Fehlen oder der Häufigkeit zahlreicher Vogel- und Säugetierarten sehr genau ablesen, wie stark die Umwelt durch Menschen beeinträchtigt wurde: Große Tiere werden wegen ihres Fleisches gejagt, andere wegen ihres Gefieders, und wieder andere findet man nur im Inneren unberührter Wälder, während sie in kultivierten sekundären Lebensräumen fehlen. Dazu gehören die Baumkängurus (die größten einheimischen Landsäugetiere Neuguineas), Kasuare, Nashornvögel und große Tauben (die größten Vögel der Insel), Paradiesvögel, Borstenkopfpapageien und andere farbenprächtige Papageienarten (die wegen ihres Gefieders geschätzt werden)
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