Kollaps
einen naiven Außenstehenden wie mich kaum vorstellbar: Die Wasserrechte aller Grundbesitzer sind zusammengenommen in den meisten Jahren größer als die gesamte verfügbare Wassermenge, zumindest im Sommer, wenn die Schneeschmelze fast beendet ist. Unter anderem liegt das daran, dass bei der Zuteilung eine konstante Wasserversorgung vorausgesetzt wird; in Wirklichkeit schwankt die Wassermenge aber in Abhängigkeit vom Klima von Jahr zu Jahr, und die angenommene feste Wassermenge ist die eines sehr niederschlagsreichen Jahres. Die Lösung besteht darin, dass die einzelnen Grundbesitzer unterschiedliche Prioritäten besitzen, je nachdem, zu welchem historischen Datum das Wasserrecht für das jeweilige Anwesen angemeldet wurde; mit abnehmender Wassermenge in den Kanälen wird also zunächst den neuesten und erst später den älteren Rechteinhabern das Wasser abgedreht. Damit ist der Konflikt bereits vorprogrammiert: Die ältesten Farmen mit den ältesten Rechten befinden sich häufig in tieferen Lagen, und die Farmer in höher gelegenen Gebieten mit ihren nachrangigen Ansprüchen sehen nicht gern zu, wie das dringend benötigte Wasser an ihrem Besitz vorbei bergab fließt, während sie selbst es nicht nutzen dürfen. Würden sie es aber tun, könnten die Nachbarn weiter unten sie verklagen.
Ein weiteres Problem erwächst aus der Landzerstückelung: Ursprünglich waren die Flächen in große Abschnitte mit jeweils einem einzigen Eigentümer unterteilt, und dieser Eigentümer entnahm das Wasser aus dem Kanal natürlich für ein Feld nach dem anderen; niemand hätte törichterweise versucht, alle Felder gleichzeitig zu bewässern, denn dafür hätte das Wasser nicht gereicht. Aber diese Abschnitte, anfangs jeweils 160 Acres (ungefähr 65 Hektar), wurden später in vierzig Baugrundstücke von vier Acres (rund 16 000 Quadratmeter) unterteilt; wenn nun jeder dieser vierzig Hausbesitzer Wasser entnimmt und seinen Garten grün halten will, ohne sich klar zu machen, dass 39 Nachbarn das Gleiche tun, ist die Wassermenge zu gering. Und schließlich betreffen die Wasserrechte nur die so genannte »nützliche« Verwendung, das heißt, das Wasser muss dem Anwesen nützen, das die Rechte besitzt. Das Wasser im Fluss zu lassen, damit die Fische darin schwimmen und Touristen auf Flößen den Fluss hinunterfahren können, gilt nicht als »nützliche« Verwendung. In den letzten trockenen Jahren sind Teile des Big Hole River im Sommer mehrmals völlig ausgetrocknet. Viele potenzielle Konflikte im Bitterroot Valley wurden mehrere Jahrzehnte lang und bis 2003 auf liebenswürdige Weise von Vern Woolsey entschieden, dem 82-jährigen Wasserbeauftragten, der von allen respektiert wurde. Nachdem er jetzt endgültig in den Ruhestand getreten ist, sehen viele meiner Bekannten in der Region dem drohenden Konfliktpotenzial mit Schrecken entgegen.
Zum Bewässerungssystem des Bitterroot Valley gehören 28 kleine Dämme, die sich in Privatbesitz befinden. Sie wurden an Gebirgsbächen gebaut, damit man dort im Frühjahr das Schmelzwasser auffangen und im Sommer für die Bewässerung der Felder verwenden konnte. Heute sind diese Dämme tickende Zeitbomben. Sie wurden vor hundert Jahren errichtet und gelten heute als primitive, gefährliche Konstruktionen. Instand gehalten wurden sie nur schlecht oder gar nicht. In vielen Fällen besteht die Gefahr, dass sie nachgeben und eine Flutwelle über tiefer gelegene Häuser und Ländereien hereinbrechen lassen. Nachdem bereits vor mehreren Jahrzehnten zwei solche Dämme gebrochen waren und verheerende Überschwemmungen verursacht hatten, erklärte die Forstverwaltung die Eigentümer der Dämme und alle Baufirmen, die jemals daran gearbeitet hatten, zu Verantwortlichen für alle Schäden, die durch den Damm entstehen könnten. Es liegt in der Verantwortung der Eigentümer, die Dämme entweder zu sanieren oder zu entfernen. Das mag sich vernünftig anhören, aber finanziell ist es häufig ein Abenteuer, und das aus drei Gründen: Erstens ziehen die heutigen Eigentümer, die nun zu Verantwortlichen erklärt wurden, vielfach kaum finanziellen Nutzen aus ihrem Damm, und sie kümmern sich auch nicht mehr um Reparaturen (zum Beispiel, weil das Land in Baugrundstücke aufgeteilt wurde, wo das Wasser heute nicht mehr als Lebensgrundlage für Bauern dient, sondern zum Bewässern des Rasens): zweitens gewähren Bundes- und Staatsregierung Zuschüsse für die Sanierung eines Dammes, aber nicht für seine Entfernung; und
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