Kollaps
das bei weitem wichtigste Bevölkerungsproblem für die gesamte Welt nicht in dem starken Bevölkerungsanstieg in Kenia, Ruanda und anderen armen Drittweltländern, auch wenn er in diesen Ländern selbst mit Sicherheit zu Schwierigkeiten führt und das am häufigsten diskutierte Bevölkerungsproblem darstellt. Viel schlimmer ist, dass die Summe aller Eingriffe der Menschen in ihre Umwelt zunimmt, weil der Lebensstandard in der Dritten Welt steigt und weil Menschen aus Drittweltländern in die Industrieländer einwandern und deren Lebensstandard übernehmen.
Viele »Optimisten« vertreten die Ansicht, die Welt könne das Doppelte ihrer derzeitigen Bevölkerung ernähren, wobei sie jedoch nur die zahlenmäßige Zunahme betrachten, nicht aber die durchschnittliche Zunahme der ökologischen Auswirkungen pro Kopf. Ich habe nie von jemandem ernsthaft die Meinung gehört, die Erde könne das Zwölffache ihrer derzeitigen ökologischen Beeinträchtigung vertragen, aber diese Zunahme würde sich ergeben, wenn alle Bewohner der Dritten Welt den Lebensstandard der Industrieländer erreichen würden. (Der Faktor 12 ergibt sich im Gegensatz zu dem im vorigen Abschnitt erwähnten Faktor 32, weil die Bewohner der Industrieländer die Umwelt auch heute bereits stark beeinträchtigen, auch wenn sie gegenüber den Bewohnern der Dritten Welt erheblich in der Minderzahl sind.) Schon wenn nur alle Chinesen den Lebensstandard der Industrieländer erreichen würden, während dieser bei allen anderen Menschen konstant bleibt, würden sich die ökologischen Auswirkungen der Menschen auf die Welt verdoppeln (Kapitel 12).
Die Menschen in der Dritten Welt wünschen sich den Lebensstandard der Industrieländer. Dieses Ziel setzen sie sich, weil sie fernsehen, die Werbung für in ihren Ländern vertriebene Konsumprodukte aus den Industrieländern erleben und mit Besuchern aus den Industrieländern zusammentreffen. Heute wissen die Menschen selbst in den abgelegensten Dörfern und Flüchtlingslagern über die Außenwelt Bescheid. Bestärkt werden die Bewohner der Dritten Welt in ihren Bestrebungen durch die Entwicklungshilfeorganisationen der Industrieländer und der Vereinten Nationen: Diese nähren bei ihnen die Hoffnung, sie könnten ihren Traum Wirklichkeit werden lassen, wenn sie nur die richtige Politik betreiben und beispielsweise einen ausgeglichenen Staatshaushalt vorlegen, in Bildung und Infrastruktur investieren, und so weiter.
Bei den Vereinten Nationen und in den Regierungen der Industriestaaten würde niemand zugeben, dass die Verwirklichung dieses Traums unmöglich ist: dass eine Welt, in der die riesige Bevölkerung der Dritten Welt den derzeitigen Lebensstandard der Industrieländer erreicht und aufrechterhält, nicht nachhaltig wäre. Dieses Dilemma können die Industrieländer auch nicht dadurch beseitigen, dass sie die Anstrengungen der Dritten Welt blockieren: Südkorea, Malaysia, Singapur, Hongkong, Taiwan und Mauritius haben bereits aufgeholt oder stehen kurz davor; China und Indien kommen aus eigener Kraft schnell voran; und die 15 reichen westeuropäischen Staaten der Europäischen Union haben ihre Organisation gerade um zehn ärmere osteuropäische Staaten erweitert, womit sie letztlich versprechen, diesen zehn Staaten bei der Aufholjagd zu helfen. Selbst wenn es die Bevölkerung der Dritten Welt nicht gäbe, könnten auch die Industrieländer allein ihren derzeitigen Kurs nicht beibehalten, denn sie befinden sich nicht in einem stabilen Zustand, sondern dezimieren ihre eigenen Ressourcen ebenso wie jene, die aus der Dritten Welt importiert werden. Für die Verantwortlichen in den Industriestaaten ist es derzeit politisch unmöglich, ihren eigenen Bürgern eine Verringerung des Lebensstandards nahe zu legen, die sich in geringerem Ressourcenverbrauch und geringerer Abfallproduktion niederschlagen würde. Was wird geschehen, wenn es den vielen Menschen in der Dritten Welt allmählich dämmert, dass der derzeitige Lebensstandard der Industrieländer für sie immer unerreichbar bleiben wird und dass die Industriestaaten nicht bereit sind, selbst diesen Standard aufzugeben? Das Leben ist voller schmerzlicher Entscheidungen über Wechselgeschäfte, aber keines davon ist so grausam wie das Wechselgeschäft, das wir eines Tages eingehen müssen: alle Menschen zum Erreichen eines höheren Lebensstandards zu ermutigen und ihnen dabei zu helfen, ohne gleichzeitig diesen Standard durch Überbeanspruchung der globalen Ressourcen
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