Kollaps
Büschen verschwanden; an ihre Stelle traten zwischen 900 und 1300 Gräser- und Kräuterpollen, aber die Radiokarbondatierung von Sedimentkernen ist ein weniger direktes Maß für die Waldzerstörung als die unmittelbaren Befunde an den Palmen und ihren Nüssen. Die Plantagen im Hochland schließlich, die Chris Stevenson untersuchte und deren Betrieb in die Phase der größten Ausbeutung der Holz- und Faserreserven für die Statuen fallen muss, wurden von Anfang des 15. Jahrhunderts bis ins 17. Jahrhundert hinein unterhalten. Dies alles lässt darauf schließen, dass die Abholzung der Wälder kurz nach dem Eintreffen der ersten Menschen begann, um 1400 ihren Höhepunkt erreichte und je nach Ort zwischen dem frühen 15. und dem 17. Jahrhundert praktisch abgeschlossen war.
Insgesamt ergibt sich für die Osterinsel ein Bild, das im gesamten Pazifikraum einen Extremfall der Waldzerstörung darstellt und in dieser Hinsicht auch in der ganzen Welt kaum seinesgleichen hat. Der Wald verschwand vollständig, und seine Baumarten starben ausnahmslos aus. Für die Inselbewohner ergab sich daraus die unmittelbare Folge, dass Rohstoffe und wild wachsende Nahrungsmittel fehlten, und auch die Erträge der Nutzpflanzen gingen zurück.
Bei den Rohstoffen, die nun überhaupt nicht mehr oder nur noch in sehr geringen Mengen verfügbar waren, handelte es sich um alle Produkte der einheimischen Pflanzen und Vögel, beispielsweise Holz, Fasern, Rinde zur Herstellung von Bekleidung, und Vogelfedern. Nachdem es keine großen Holzbalken und keine Seile mehr gab, kamen Transport und Errichtung der Statuen ebenso zum Erliegen wie der Bau seetüchtiger Kanus. Im Jahr 1838, als fünf kleine, undichte Zweimannboote einem französischen Schiff entgegenpaddelten, das vor der Insel vor Anker gegangen war, berichtete der Kapitän: »Alle Einheimischen verwendeten häufig und aufgeregt das Wort miru und wurden ungeduldig, als sie sahen, dass wir es nicht verstanden: Dieses Wort ist der Name des Holzes, das die Polynesier zum Bau ihrer Kanus verwenden. Es war das, was sie am dringendsten brauchten, und sie bedienten sich aller Mittel, um uns dies verständlich zu machen ...« Der Name »Terevaka« für den größten und höchsten Berg auf der Osterinsel bedeutet »Ort, um Kanus zu bekommen«: Bevor seine Abhänge abgeholzt und zu Plantagen gemacht wurden, hatten sie der Holzgewinnung gedient, und sie waren noch übersät mit Steinbohrern, Schabern, Messern, Meißeln und anderen Werkzeugen, die man damals zur Holzbearbeitung und zum Kanubau benutzt hatte. Nachdem große Holzbalken fehlten, besaßen die Menschen auch keinen Brennstoff mehr, mit dem sie sich in den Winternächten bei strömendem Regen und Temperaturen um 10 Grad Celsius warm halten konnten. Stattdessen waren die Inselbewohner nach 1650 darauf angewiesen, Kräuter und Gräser sowie die Reste von Zuckerrohr und anderen Nutzpflanzen zu verbrennen. Um die verbliebenen holzigen Sträucher gab es heftige Rivalitäten zwischen Menschen, die Material zum Decken ihrer Dächer und kleine Holzstücke zum Hausbau oder zur Herstellung von Gerätschaften und Kleidungsstücken brauchten. Sogar die Bestattungsmethoden mussten sich ändern: Die Einäscherung, die für jede Leiche viel Holz erfordert hatte, wurde unmöglich und machte der Mumifizierung sowie der Erdbestattung Platz.
Die meisten wild wachsenden Nahrungsmittel waren verloren. Da es auch keine seetüchtigen Kanus mehr gab, verschwanden die Knochen der Delphine, die in den ersten Jahrhunderten die wichtigsten Fleischlieferanten der Inselbewohner gewesen waren, um 1500 praktisch völlig aus den Abfallhaufen, und das Gleiche galt für Thunfische und andere Fischarten aus dem offenen Meer. Ganz allgemein ging die Zahl der Angelhaken und Fischknochen in den Abfällen zurück, und es blieben vorwiegend Fischarten, die man im flachen Wasser oder von der Küste aus fangen konnte. Die Landvögel starben völlig aus; von den Seevögeln blieben nur Restbestände mit einem Drittel der Arten, die ursprünglich auf der Insel heimisch waren, und auch diese waren darauf angewiesen, auf wenigen kleinen Eilanden vor der Küste zu brüten. Palmennüsse, Malayäpfel und alle anderen wilden Früchte verschwanden vom Speisezettel. Bei den Muscheln, die nun verbraucht wurden, handelte es sich um kleinere Arten mit einer geringeren Zahl kleinerer Exemplare. Die einzigen wild lebenden Nahrungslieferanten, die nach wie vor unverändert zur Verfügung standen, waren
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