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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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die Ratten.
    Neben diesem drastischen Rückgang der wilden Nahrungsmittelressourcen nahm auch der Ertrag der angebauten Nutzpflanzen ab. Das hatte mehrere Gründe. Die Waldzerstörung zog in einzelnen Gebieten eine starke Bodenerosion durch Regen und Wind nach sich; dies erkennt man an den steil ansteigenden Mengen von Metallionen aus dem Boden, die in das Sediment der Sümpfe geschwemmt wurden und sich in Flanleys Bohrkernen wiederfinden. Wie man beispielsweise an Ausgrabungen auf der Poike-Halbinsel erkennt, ließ man anfangs zwischen den angebauten Nutzpflanzen noch einzelne Palmen stehen, sodass ihre Kronen dem Boden Schatten spendeten und die Nutzpflanzen vor Sonnenwärme, Austrocknung, Wind und den unmittelbaren Auswirkungen des Regens schützten. Nachdem die Palmen abgeholzt waren, kam es zu umfangreicher Erosion, sodass die weiter bergab gelegenen ahu und Häuser unter Erde begraben wurden; dies führte schließlich dazu, dass man die Felder auf der Poike-Halbinsel um 1400 aufgeben musste. Nachdem sich dort die Graslandschaften breit gemacht hatten, nahm man die Landwirtschaft um 1500 wieder auf, um sie ein Jahrhundert später nach einer zweiten Erosionswelle erneut einzustellen. Weiter geschädigt wurde der Boden durch Austrocknung und Auswaschung von Nährstoffen, auch sie eine Folge der Waldzerstörung, die zu einem Rückgang des Pflanzenertrages führte. Darüber hinaus standen die Blätter, Früchte und Zweige wilder Pflanzen, die den Bauern zuvor als Kompost gedient hatten, nicht mehr zur Verfügung.
    Das waren die unmittelbaren Folgen der Waldzerstörung und anderer Eingriffe der Menschen in die Umwelt. Im weiteren Verlauf kam es dann zu einer Hungersnot, einem Zusammenbruch der Bevölkerung und einem Niedergang bis hin zum Kannibalismus. Eine sehr augenfällige Bestätigung für die Berichte der überlebenden Inselbewohner über die Hungersnot sind die zahlreichen kleinen Statuen, die als moai kavakava bezeichnet werden: Sie stellen hungernde Menschen mit hohlen Wangen und vorstehenden Rippen dar. Captain Cook bezeichnete die Inselbewohner 1774 als »klein, mager, ängstlich und elend«. In den Niederungen an der Küste, wo fast die gesamte Bevölkerung zu Hause war, ging die Zahl der Bauwerke von einem Spitzenwert der Jahre zwischen 1400 und 1600 bis ins 18. Jahrhundert um 70 Prozent zurück, was auf einen entsprechenden Rückgang der Bevölkerungszahl schließen lässt. Anstelle ihrer früheren wilden Fleischlieferanten griffen die Inselbewohner jetzt auf die einzige Möglichkeit zurück, die ihnen noch zur Verfügung stand: auf Menschen. Ihre Knochen findet man von nun an nicht nur an ordnungsgemäßen Begräbnisstätten, sondern auch (zur Gewinnung des Knochenmarks aufgebrochen) in Abfallhaufen aus späterer Zeit. In der mündlichen Überlieferung der Inselbewohner nimmt der Kannibalismus breiten Raum ein; die schrecklichste Beschimpfung, die man einem Feind entgegenschleudern konnte, lautete: »Das Fleisch deiner Mutter hängt zwischen meinen Zähnen.«
    Die Häuptlinge und Priester auf der Osterinsel hatten ihre herausgehobene Stellung anfangs damit gerechtfertigt, dass sie für sich eine Verwandtschaft mit den Göttern in Anspruch nahmen und dem Volk Wohlstand sowie eine reiche Ernte versprachen. Diese Ideologie unterstrichen sie durch Monumentalbauwerke und Zeremonien, mit denen die Massen beeindruckt werden sollten: möglich wurden solche Machtdemonstrationen durch die Nahrungsmittelüberschüsse, die sie den einfachen Leuten abnahmen. Als die Versprechungen sich zunehmend als hohl erwiesen, wurden die Häuptlinge und Priester um 1680 von den als matatoa bezeichneten Militärführern gestürzt, und die Gesellschaft der Osterinsel, die bisher vielschichtig verflochten war, brach auseinander, Bürgerkriege waren die Folge. Noch heute ist die Insel mit mata’a übersät, Speerspitzen aus Obsidian, die aus dieser Kriegsperiode stammen. Das gemeine Volk baute seine Hütten jetzt in dem Küstenstreifen, der zuvor den Wohnhäusern ( harepaenga ) der Elite vorbehalten gewesen war. Viele Menschen zogen sich aus Sicherheitsgründen in Höhlen zurück, die durch Grabungen vergrößert wurden; die Eingänge wurden teilweise verschlossen, sodass ein enger Tunnel entstand, der einfacher zu verteidigen war. Lebensmittelreste, Nähnadeln aus Knochen, Gerätschaften zur Holzbearbeitung und Werkzeuge für die Reparatur der Tapa-Stoffe zeigen ganz eindeutig, dass die Höhlen nicht nur als vorübergehende

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