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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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der Osterinsel nach 1680 kein ausschließlich negatives, destruktives Bild zeichnen. Die Überlebenden stellten sich sowohl in der Sicherung ihres Lebensunterhaltes als auch in der Religion so gut wie möglich auf die neuen Verhältnisse ein. Nicht nur der Kannibalismus, sondern auch die Zahl der Hühnerställe nahm nach 1650 explosionsartig zu; in den ältesten Abfallhaufen, die David Steadman, Patricia Vargas und Claudio Cristino in Anakena ausgruben, machten Hühnerknochen noch nicht einmal 0,1 Prozent aller Tierknochen aus. Die matatoa rechtfertigten ihren Militärputsch mit einer religiösen Glaubensrichtung, der Verehrung des Schöpfergottes Makemake, der zuvor in der Götterwelt der Osterinsel nur einer von vielen gewesen war. Zentrum des Kultes war das Dorf Orongo am Rand des großen Kraters Rano Kau; von dort aus hatte man den Blick auf die drei größten Felseneilande vor der Küste, auf die sich die nistenden Seevögel zurückgezogen hatten. Die neue Religion brachte ihren eigenen Kunststil hervor, der seinen Ausdruck insbesondere in Felszeichnungen von weiblichen Geschlechtsorganen, Vogelmenschen und Vögeln (in dieser Häufigkeitsreihenfolge) fand; die Zeichnungen wurden nicht nur an den Bauwerken in Orongo angebracht, sondern auch auf den umgestürzten moai und pukao an anderen Orten. Jedes Jahr fand im Rahmen des Orongo-Kultes ein Wettbewerb zwischen den Männern statt: Sie mussten durch die kalte, von Haien verseuchte, eineinhalb Kilometer breite Meerenge zwischen der Osterinsel und den kleinen Felseninseln schwimmen, um dort das erste Ei zu holen, das die Rußseeschwalben in diesem Jahr gelegt hatten; wer das Ei anschließend unbeschädigt auf die Osterinsel brachte, wurde für das folgende Jahr zum »Vogelmenschen des Jahres« gesalbt. Die letzte Orongo-Zeremonie fand 1867 in Gegenwart katholischer Missionare statt, als die Reste der Osterinsel-Gesellschaft, die die Inselbewohner noch nicht selbst zugrunde gerichtet hatten, von der Außenwelt zerstört wurden.
    Die traurige Geschichte des europäischen Einflusses auf die Osterinsel lässt sich schnell zusammenfassen. Nach Captain Cooks kurzem Aufenthalt im Jahr 1774 setzte ein ständiger dünner Strom europäischer Besucher ein. Wie es für Hawaii, Fidschi und viele andere Pazifikinseln belegt ist, so muss man auch hier davon ausgehen, dass sie europäische Krankheiten einschleppten, und viele Inselbewohner, die mit den Erregern zuvor nicht in Berührung gekommen waren, starben daran; zum ersten Mal ausdrücklich erwähnt wird eine solche Epidemie - die Pocken - allerdings erst um 1836. Und wie auf anderen Pazifikinseln, so begann die Verschleppung von Inselbewohnern als Arbeitskräfte auch auf der Osterinsel um 1805 und erreichte ihren Höhepunkt in den Jahren 1862/63, dem schlimmsten Jahr in der Geschichte der Insel, als zwei Dutzend peruanische Schiffe etwa 1500 Menschen (die Hälfte der noch lebenden Bevölkerung) entführten und versteigerten, damit sie in den Guanominen Perus und an anderen einfachen Arbeitsplätzen tätig werden konnten.
    Die meisten Entführten starben in der Gefangenschaft. Auf internationalen Druck hin brachte Peru ein Dutzend Überlebende zurück, und diese bescherten der Insel eine weitere Pockenepidemie. Im Jahr 1864 siedelten sich katholische Missionare auf der Osterinsel an; 1872 waren nur noch um 111 Inselbewohner übrig.
    Europäische Kaufleute führten in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts Schafe auf der Osterinsel ein und beanspruchten das Land für sich. Im Jahr 1888 annektierte Chile die Insel, und im weiteren Verlauf wurde sie im Wesentlichen zu einer Schaffarm, die von einem in Chile ansässigen schottischen Unternehmen verwaltet wurde. Die Inselbewohner durften nur noch in einem Dorf wohnen und mussten für das Unternehmen arbeiten; als Bezahlung erhielten sie kein Bargeld, sondern Waren aus dem firmeneigenen Laden. Ein Aufstand der Inselbewohner wurde 1914 von der Besatzung eines chilenischen Kriegsschiffes niedergeschlagen. Als Schafe, Ziegen und Pferde des Unternehmens die Insel abgrasten, kam es zu weiterer Bodenerosion, und nun verschwand fast alles, was von der einheimischen Pflanzenwelt noch übrig war, darunter um 1934 auch die letzten Exemplare von Hauhau und Toromiro. Erst 1966 erhielten die Inselbewohner die chilenische Staatsbürgerschaft. Heute lebt unter ihnen der Stolz auf ihre Kultur wieder auf, und der Wirtschaft kommt es zugute, dass jede Woche mehrere Linienflüge der staatlichen

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