Kollaps
II nennt. Dann aber wuchs die gefährliche Verlockung, die Landwirtschaft in feuchten Jahrzehnten mit günstigen Wachstumsbedingungen auch auf Randgebiete auszuweiten, wo Wasserquellen und Grundwasser weniger zuverlässig waren. Die Bevölkerung, die sich in solchen Regionen stark vermehrte, konnte später keine Pflanzen mehr anbauen und musste hungern, wenn das unberechenbare Klima sich erneut änderte. Dieses Schicksal ereilte die Mimbres: Sie betrieben ihre Landwirtschaft anfangs ohne Risiko in der Flussniederung, aber als ihre Bevölkerung die Produktionskapazität des ursprünglichen Anbaugebietes überforderte, bebauten sie auch die benachbarten Regionen oberhalb davon. Während einer feuchten Klimaphase ging das Glücksspiel gut, und sie konnten die Hälfte ihres Nahrungsbedarfs außerhalb der Flussniederung decken. Als es jedoch wieder trockener wurde, überstieg der Bedarf der gewachsenen Bevölkerung die Produktion der Flussniederung um das Doppelte, und unter dieser Belastung brach die Gesellschaft der Mimbres abrupt zusammen.
Wiederum eine andere Lösung bestand darin, sich nur für wenige Jahrzehnte in einem Gebiet niederzulassen und den Ort zu wechseln, sobald Boden und Wildbestände erschöpft waren. Diese Methode war praktikabel, solange die Bevölkerungsdichte gering blieb, denn dann gab es noch viele unbewohnte Gebiete, die man besiedeln konnte; anschließend ließ man sie so lange unberührt, bis die Vegetation und die Nährstoffe im Boden sich wieder erholt hatten. Tatsächlich waren die meisten archäologischen Stätten im Südwesten Nordamerikas nur wenige Jahrzehnte bewohnt; die größte Aufmerksamkeit ziehen heute allerdings die wenigen großen Orte wie Pueblo Bonito im Chaco Canyon auf sich, in denen mehrere Jahrhunderte lang ununterbrochen Menschen lebten.
Eine weitere Alternative war die Praxis, Pflanzen trotz der lokal unvorhersehbaren Niederschläge an vielen verschiedenen Orten anzubauen und dann an den Stellen zu ernten, wo der Regen einen guten Ertrag ermöglicht hatte; ein Teil der Ernte wurde dann an die Bewohner der Stellen verteilt, die in dem fraglichen Jahr zufällig nicht genügend Niederschlag abbekommen hatten. Diese Methode setzte sich schließlich im Chaco Canyon durch. Aber auch sie war mit einer Gefahr verbunden: Die Umverteilung erforderte ein kompliziertes politisches und gesellschaftliches System, in dem die Aktivitäten der verschiedenen Orte zusammenflossen, und als dieses komplexe System schließlich zusammenbrach, litten viele Menschen Hunger.
Die letzte Methode schließlich war der Anbau von Pflanzen in der Nähe dauerhafter oder zuverlässiger Wasserquellen, wobei man aber in höheren Lagen oberhalb der Hauptwasserwege wohnte und so der Gefahr aus dem Weg ging, dass Überschwemmungen die Felder und Dörfer wegspülten; außerdem betrieb man eine vielfältige Wirtschaft und nutzte unterschiedliche ökologische Zonen aus, sodass jede Siedlung sich selbst versorgen konnte. Diese Lösung übernahmen die Vorfahren der heutigen Hopi- und Zuni-Pueblo-Indianer, und sie war über 1000 Jahre lang erfolgreich. Manche modernen Hopi- und Zuni-Indianer schütteln heute beim Blick auf die Übertreibungen der amerikanischen Gesellschaft den Kopf und sagen: »Wir waren hier, lange bevor ihr gekommen seid, und wir werden auch noch hier sein, wenn ihr längst wieder weg seid.«
Alle diese Alternativlösungen sind durch ein ähnliches, übergeordnetes Risiko bedroht: Eine Reihe guter Jahre mit ausreichendem Niederschlag oder ausreichend hohem Grundwasserspiegel kann zu Bevölkerungswachstum führen; das wiederum hat zur Folge, dass die Gesellschaft immer komplexer wird, immer mehr gegenseitige Abhängigkeiten entwickelt und sich lokal nicht mehr selbst versorgen kann. Folgen dann mehrere schlechte Jahre, kommt eine solche Gesellschaft nicht mehr damit zurecht, und sie kann sich anschließend nicht so gut regenerieren wie eine weniger bevölkerungsreiche, weniger von gegenseitigen Abhängigkeiten geprägte und eher autarke Gesellschaft. Wie wir noch genauer erfahren werden, war genau dieses Dilemma der Grund, warum die Anasazi ihre Siedlungen im Longhouse Valley und möglicherweise auch in anderen Gebieten aufgeben mussten.
Am eingehendsten hat man untersucht, wie die spektakulärsten und größten Ansiedlungen der Anasazi im Chaco Canyon im Nordwesten des US-Bundesstaates New Mexico aufgegeben wurden. Die Gesellschaft der Anasazi erlebte dort ungefähr seit dem Jahr 600 n. Chr.
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