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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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beispielsweise gruben Siedler Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts einen so genannten Auffanggraben aus, der das hoch stehende Grundwasser aufnehmen und bergab auf die Flussniederung leiten sollte. Im Sommer 1890 führten schwere Regenfälle dazu, dass das obere Ende des Grabens tief eingeschnitten wurde, und der so entstehende Arroyo erstreckte sich bereits drei Tage später zehn Kilometer bergauf, sodass bei Tucson eine zerfurchte, landwirtschaftlich nutzlose Flussniederung zurückblieb. Ähnliche Auffanggräben legten wahrscheinlich auch die Ureinwohner im Südwesten an, und auch die Folgen dürften ähnlich gewesen sein. Die Chaco-Anasazi bewältigten das Problem der Arroyos in ihrem Canyon auf unterschiedliche Weise: In Seitentälern, über dem Niveau des Hauptcanyons errichteten sie Dämme, um das Regenwasser zu speichern; die Felder legten sie so an, dass das Regenwasser sie bewässern konnte; sie speicherten das Regenwasser, das zwischen den Seitentälern über die Klippen am Nordrand des Canyons floss; und schließlich bauten sie im Hauptcanyon aus Felsen einen Damm.
    Das zweite große ökologische Probleme neben der Wasserbewirtschaftung, die Waldzerstörung, wird durch Analyse der Buschratten-Abfallhaufen deutlich. Wer (wie ich bis vor einigen Jahren) noch nie eine Buschratte gesehen hat, kennt auch ihre Abfallhaufen nicht und kann sich vermutlich nicht vorstellen, welch große Bedeutung sie für die Erforschung der Anasazi-Vorgeschichte haben. Deshalb möchte ich kurz erklären, was es mit der Untersuchung dieser Abfallhaufen auf sich hat. Als hungrige Goldsucher im Jahr 1849 die Wüste von Nevada durchquerten, entdeckten sie auf einer Klippe glitzernde Kugeln aus einer bonbonartigen Substanz. Sie leckten daran oder aßen sie und bemerkten, dass sie süß schmecken, aber dann wurde ihnen übel. Schließlich stellte sich heraus, dass es sich bei den Kugeln um die harten Exkremente der Buschratten handelte. Diese kleinen Nagetiere bauen sich ein schützendes Nest aus Stöcken, Pflanzenteilen und dem Dung von Säugetieren, die sie in ihrer Umgebung sammeln, und hinzu kommen auch Nahrungsreste, übrig gebliebene Knochen und ihre eigenen Ausscheidungen. Der Urin der Ratten kristallisiert beim Trocknen Zucker und andere Substanzen aus, und damit nehmen die Exkremente eine ziegelsteinähnliche Konsistenz an. Letztlich aßen die hungrigen Goldgräber also getrockneten Rattenurin, der mit Rattenkot und den Nahrungsresten der Ratten gewürzt war.
    Natürlich wollen auch Buschratten sich so wenig Arbeit wie möglich machen und das Risiko, bei ihren Ausflügen aus dem Nest von natürlichen Feinden aufgegriffen zu werden, gering halten; deshalb sammeln sie Pflanzen nur in einem Umkreis von wenigen Dutzend Metern. Nach einigen Jahrzehnten geben die Nachkommen der Ratten ihren Bau auf und ziehen in ein neu gebautes Nest, und in der alten Behausung verhindert der kristallisierte Urin, dass das Material verrottet. Deshalb kann man die urinverkrusteten Überreste mehrerer Dutzend Pflanzenarten aus einem solchen Bau identifizieren und auf diese Weise eine Momentaufnahme der Vegetation rekonstruieren, die zu Lebzeiten der Ratten im Umfeld ihrer Behausung wuchs. Zoologen können aus den Resten von Insekten und Wirbeltieren auch Rückschlüsse auf die Tierwelt ziehen. Ein Buschrattenbau ist der Traum jedes Paläontologen: Eine Zeitkapsel mit einer Stichprobe der örtlichen Vegetation, die im Lauf weniger Jahrzehnte in einem Umfeld von wenigen Dutzend Metern gesammelt wurde, und das zu einer Zeit, die man durch die Radiokarbondatierung der Behausung ermitteln kann.
    Im Jahr 1975 war der Paläoökologe Julio Betancourt als Tourist in New Mexico, und auf seiner Reise kam er zufällig auch in den Chaco Canyon. Als er auf die Baumlandschaft rund um den Pueblo Bonito hinunterblickte, dachte er bei sich: »Hier sieht es aus wie in einer öden mongolischen Steppe; woher hatten die Menschen ihr Bau- und Brennholz?« Die gleiche Frage hatten sich auch Archäologen bei der Untersuchung der Ruinen bereits gestellt. Drei Jahre später wurde Julio von einem Bekannten aus ganz anderen Gründen gebeten, einen Antrag für die Untersuchung von Buschrattenbehausungen zu schreiben, und dabei fiel ihm in einem Geistesblitz sein erster Eindruck vom Pueblo Bonito wieder ein. Mit einem schnellen Telefonanruf bei dem Buschrattenexperten Tom Van Devender fand er heraus, dass dieser auf dem Campingplatz des National Park Service nicht weit vom

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