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Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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eine über fünf Jahrhunderte lange Blütezeit, bevor sie irgendwann zwischen 1150 und 1200 verschwand. Es war eine kompliziert organisierte, geographisch weit ausgedehnte Gesellschaft mit regionalem Zusammenhalt, und sie errichtete die größten präkolumbianischen Bauwerke Nordamerikas. Über die öde, baumlose Landschaft des Chaco Canyon mit ihren tief eingeschnitten Arroyos und dem spärlichen, niedrigen Bewuchs aus salztolerantem Buschwerk staunen wir noch mehr als über die öde, baumlose Landschaft der Osterinsel: Der Canyon ist heute, abgesehen von ein paar Häusern der Nationalpark-Ranger, vollkommen unbewohnt. Warum bauten Menschen in dieser Einöde eine hoch entwickelte Stadt, und warum gaben sie sie auf, nachdem die Errichtung so viel Arbeit gekostet hatte?

    Als die Bauern um 600 n. Chr. in den Chaco Canyon kamen, lebten sie anfangs wie andere Ureinwohner des Südwestens in unterirdischen Höhlenwohnungen. Mit den Gesellschaften der Ureinwohner, die 1500 Kilometer weiter südlich im heutigen Mexiko steinerne Bauwerke errichteten, hatten die Anasazi von Chaco keinen Kontakt; unabhängig von diesen erfanden sie um 700 n. Chr. Methoden, um Häuser aus Steinen zu bauen, und schließlich setzte sich eine Technik mit einem Kern aus Geröll und Verkleidungen aus geschnittenen Steinplatten durch. Anfangs hatten die Gebäude nur ein Stockwerk, aber um 920 errichtete man im Pueblo Bonito, später der größten Siedlung von Chaco, bereits zwei Stockwerke, und in den folgenden beiden Jahrhunderten entstanden Gebäude mit fünf oder sechs Etagen und 600 Zimmern, deren Dächer von fünf Meter langen, bis zu 320 Kilo schweren Balken getragen wurden.
    Warum war unter allen Siedlungen der Anasazi gerade der Chaco Canyon diejenige, an der Bautechnik sowie politische und gesellschaftliche Komplexität ihren Höhepunkt erreichten? Eine mutmaßliche Ursache sind gewisse ökologische Vorteile des Chaco Canyon, dessen Umwelt im Nordwesten von New Mexico anfangs eine angenehme Oase darstellte. Die enge Schlucht nimmt abfließendes Regenwasser von vielen Seitentälern und großen Hochflächen auf, und der so entstehende, hohe Grundwasserspiegel ermöglichte in manchen Gebieten unabhängig vom lokalen Niederschlag die Landwirtschaft. Außerdem beschleunigte das abfließende Wasser die Regeneration des Bodens. Die große bewohnbare Fläche des Canyons und des Gebietes in 80 Kilometern Umkreis konnte im Vergleich zu anderen trockenen Gebieten eine relativ große Bevölkerung ernähren. In der Chaco-Region lebt eine große Vielfalt wilder Pflanzen- und Tierarten, und die vergleichsweise niedrige Höhenlage verschafft den Nutzpflanzen eine lange Wachstumssaison. Anfangs lieferten die Kiefern- und Wacholdergehölze der Umgebung das Bau- und Feuerholz. Die ältesten Dachbalken, die man an den Jahresringen identifizieren konnte und die im trockenen Klima des Südwestens gut erhalten geblieben sind, stammen von den Arizonakiefern der Region, und auch bei den Überresten des Feuerholzes an alten Herdstellen handelt es sich um die lokalen Kiefern- und Wacholderarten. Die Ernährung der Anasazi bestand vor allem aus Mais mit ein wenig Kürbis und Bohnen, in den ältesten archäologischen Schichtungen erkennt man jedoch auch, dass viele Kiefernsamen (mit 75 Prozent Protein) und andere wilde Pflanzen verzehrt wurden; außerdem wurden Hirsche gejagt.
    Diesen natürlichen Vorteilen des Chaco Canyon standen zwei wichtige Nachteile entgegen, die aus der ökologischen Empfindlichkeit des Südwestens erwuchsen. Der eine betraf die Bewirtschaftung der Wasservorräte. Anfangs bedeckte das abfließende Regenwasser in einer breiten Schicht den flachen Boden des Canyons, sodass die landwirtschaftlichen Flächen in den Flussniederungen sowohl durch dieses abfließende Wasser als auch durch das hoch stehende Grundwasser bewässert wurden. Als die Anasazi aber immer mehr Wasser zur Bewässerungszwecken in Kanäle leiteten, führte das konzentriert in diesen Kanälen abfließende Wasser in Verbindung mit der Rodung zu landwirtschaftlichen Zwecken und natürlichen Vorgängen ungefähr seit 900 n. Chr. dazu, dass tiefe Arroyos ausgewaschen wurden. In ihnen stand das Wasser unter dem Niveau der Bodenoberfläche, sodass eine landwirtschaftliche Bewässerung und auch eine auf Grundwasser basierende Landwirtschaft unmöglich wurden, bis die Arroyos wieder aufgefüllt waren. Solche tiefen Gräben können sich sehr plötzlich bilden. In der Stadt Tucson in Arizona

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