Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kollaps

Kollaps

Titel: Kollaps Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
Pueblo Bonito bereits einige Bauten der Nagetiere untersucht hatte. In fast allen hatte er Nadeln der Arizonakiefer gefunden, die dort heute im Umkreis von vielen Kilometern nicht gedeiht; dennoch hatte sie in der frühen Bauphase des Pueblo Bonito die Dachbalken geliefert, und sie machte auch einen großen Teil der Holzkohle aus, die man in Feuerstellen und Abfallhaufen gefunden hatte. Wie Julio und Tom sofort erkannten, musste es sich hier also um alte Rattenbauten handeln: Sie waren in einer Zeit entstanden, als in der Nähe noch Kiefern wuchsen, aber niemand hatte eine Ahnung, wann das gewesen sein könnte. Die Wissenschaftler glaubten, es sei vielleicht nur ein Jahrhundert her. Also ließen sie einige Proben aus den Bauten mit der Radiokarbonmethode datieren. Als die Laborbefunde vorlagen, erfuhren die beiden zu ihrem großen Erstaunen, dass viele Buschrattenbauten mehr als 1000 Jahre alt waren.
    Diese Zufallsbeobachtung wurde zum Auslöser für eine Fülle von Untersuchungen an den Exkrementen von Buschratten. Heute wissen wir, dass die Kugeln im trockenen Klima des nordamerikanischen Südwestens nur sehr langsam verrotten. Wenn sie unter einem Felsüberhang oder in einer Höhle vor den Elementen geschützt sind, bleiben sie unter Umständen bis zu 40 000 Jahre erhalten, viel länger, als irgendjemand zu hoffen gewagt hatte. Als Julio mir in Kin Kletso, einer Ausgrabungsstätte der Chaco-Anasazi, zum ersten Mal einen Buschrattenbau zeigte, empfand ich Ehrfurcht bei dem Gedanken, dass dieses scheinbar erst kürzlich gebaute Nest in Wirklichkeit zu einer Zeit entstanden war, als Mammuts, Riesenfaultiere, Amerikanische Löwen und andere ausgestorbene Eiszeit-Säugetiere im Gebiet der heutigen Vereinigten Staaten zu Hause waren.
    Im weiteren Verlauf konnte Julio in der Region des Chaco-Canyon insgesamt fünfzig Buschratten-Behausungen aufspüren und mit der Radiokarbonmethode datieren; wie sich dabei herausstellte, deckte ihr Altersspektrum die gesamte Zeit des Aufstiegs und Niedergangs der Anasazi-Kultur von 600 bis 1200 n. Chr. ab. Auf diese Weise konnte Julio den Wandel der Vegetation im Chaco Canyon während der gesamten Anasazi-Zeit rekonstruieren. Bei den Untersuchungen wurde klar, dass der Waldverlust neben der Wasserbewirtschaftung das zweite große Umweltproblem war, das sich im Chaco-Canyon ungefähr seit 1000 n. Chr. durch die wachsende Bevölkerung entwickelte. Vor dieser Zeit, beispielsweise in dem Bau, den Julio als Ersten analysiert hatte, und auch in jenem, den er mir zeigte, finden sich noch Nadeln von Arizonakiefern und Wacholderbäumen. Die Siedlungen der Chaco-Anasazi entstanden also ursprünglich in einem Waldgebiet mit Kiefern und Wacholder, das ganz anders aussah als die heutige, baumlose Landschaft, sich aber gut für die Beschaffung von Brenn- und Bauholz eignete. Dagegen fehlen Reste von Kiefern und Wacholderbeeren in den Bauten, die auf die Zeit nach dem Jahr 1000 datiert wurden; demnach waren die Wälder zu jener Zeit restlos zerstört, und die Region hatte ihr heutiges Aussehen angenommen. Die schnelle Waldzerstörung hatte im Chaco-Canyon die gleichen Ursachen, die ich im Kapitel 2 im Zusammenhang mit der Frage erörtert habe, warum die Osterinsel und andere besiedelte, trockene Pazifikinseln viel stärker durch Entwaldung gefährdet waren als feuchtere Inseln: In trockenem Klima wachsen die Bäume auf abgeholzten Flächen so langsam nach, dass die Regeneration mit dem Verbrauch nicht Schritt halten kann.
    Durch die Waldzerstörung gingen nicht nur die Kiefernnüsse als regionale Nahrungsquelle verloren, sondern die Bewohner des Chaco-Canyon mussten auch das Holz für ihre Bauvorhaben aus anderen Quellen beschaffen. Dies erkennt man daran, dass Kiefernbalken aus der Architektur der Gegend völlig verschwanden. Um das Problem zu lösen, legten die Bewohner nun große Entfernungen zurück und wechselten zu Goldkiefern, Gelbkiefern und Tannen, die bis zu 80 Kilometer entfernt im Gebirge wuchsen, und zwar in Gebieten, die über 1000 Meter höher lagen als der Chaco Canyon. Zugtiere gab es nicht. Ungefähr 200 000 Balken, jeder bis zu 320 Kilo schwer, wurden allein mit menschlicher Muskelkraft von den Bergen über diese Entfernung zum Chaco Canyon gebracht.
    Kürzlich konnte Julios Student Nathan English in Zusammenarbeit mit Julio, Jeff Dean und Jay Quade genauer untersuchen, woher die großen Kiefern- und Tannenholzbalken stammten. Im Gebiet von Chaco kommen dafür drei Quellen infrage,

Weitere Kostenlose Bücher