Kolonien der Liebe
Grünanlage gehen. Elsie ist fett, hängt in der Mitte durch, hat entzündete Augen und krumme Füße mit zu langen Krallen. Sie kackt kleine weiße Kalkbälle vor das Haus, in dem der Kinderverderber verschwunden ist. Elsie will nicht gehen und schleift ihren Bauch mühsam über den Gehsteig. Um so drahtiger schreitet Frau Rechtsanwalt Wrobel in ihrem kurzen weißen Tennis-röckchen aus, denn sie wird gleich eine Trainerstunde bei dem braungebrannten Tennislehrer aus der Kreisstadt nehmen. Sie raucht im Gehen und wartet, bis Elsie ihre Kalkbälle losgeworden ist.
Die alte Wrobel schaut erbittert hinter ihr her, das Flittchen, die Schmarotzerin, die ihr den Sohn weggenommen hat, der etwas Besseres verdient hätte. Der Sohn ist gutverdienender Scheidungsanwalt und hat eine Geliebte in Bielefeld, weshalb er in Bielefeld oft «Termine wahrnehmen muß». Die alte Wrobel schaut zu uns hoch, grüßt, droht mit der Kaminzange hinter der Schwiegertochter her und äfft ihren aufreizenden Gang nach.
Jetzt kommt Kowalski auf dem Rennrad den Berg von der Grünanlage heruntergefahren. Kowalski malt wilde Bilder in schreienden Farben und radelt täglich gegen seine sexuellen Obsessionen an. Er trägt enge Radfahrerhosen, in denen man «alle Teile» sieht, wie die alte Wrobel einmal voll Abscheu bemerkt hat: «Ekelhaft, so eine Hose, man sieht alle Teile, aber das gefällt dem Flittchen!» Kowalskis Gesicht ist rot und schweißglänzend, das Haar verklebt, als er jetzt anhält und vom Rad steigt, um mit Frau Rechtsanwalt Wrobel eine zu rauchen und ihr von dem Fuchs zu erzählen, den er auf der Hochstraße gesehen hat, von der Weinlese, die in vollem Gange ist, von den Bauarbeiten an der Trasse der Schnellbahn.
Sie lacht laut und wirft den Kopf jungmädchenhaft in den Nacken, ach, Kowalski, Sie sind mir einer! Elsie rutscht mit dem Hintern über den Kies, weil sie einen Abszeß an den Analdrüsen hat.
Seit Kowalski sich endgültig von Martha, seiner Frau, getrennt hat, wohnt er in unserer Straße. Martha hat ein Verhältnis mit einem ehemaligen Boxer, der Kowalski in der Stadt kumpelhaft zuzwinkert. Kowalski findet diese Affäre unerträglich und nicht zu vergleichen mit seinen Geschichten, etwa mit der italienischen Eisverkäuferin, der älteren Schauspielerin oder der Bedienung in den Rheinterrassen.
Kowalski will nicht abends heimkommen und sehen, wie der ehemalige Boxer in seiner Küche Weizenbier trinkt, also hat er sich eine kleine Dachwohnung gemietet, und wir können nachts lange das Licht brennen sehen. Dann malt er oder schreibt für Kunstzeitschriften verwegene Artikel mit Titeln wie «Was soll uns Schönheit?» oder «Im Schlaf erwacht die Schwermut» oder
«Vom Überflüssigen». Manchmal geht Kowalskis Freund Werner unter den Fenstern auf und ab, hustet überdeutlich, schaut zu den erleuchteten Vierecken hoch, traut sich aber nicht zu klingeln und trabt wieder zurück in Marthas Küche, wo er oft Zuflucht sucht und mit dem ehemaligen Boxer ein Weizenbier nach dem anderen trinkt. Werner ist acht Jahre zur See gefahren und dann in Wien bei einer Restaurateurin namens Elsbeth gestrandet, von deren erotischen Extravaganzen er oft in hocherregtem Frageton erzählt: «Immer nur im Stehen, stundenlang, rein raus, rein raus, und dabei raucht sie, ist das denn normal, sagt doch mal ?»
Werner ist vor Elsbeth in unsere Kleinstadt geflohen, weil hier sein einziger Freund lebt, Kowalski, und nun hat sich Kowalski so zurückgezogen, und Werners letzte Anlaufstelle ist Marthas Küche. Wenn er betrunken ist, tritt er ans Fenster, ballt die Faust und ruft in die Nacht hinaus: «Kowalski, du Schuft!» und dann sagt Martha: «Mal du erst mal solche Bilder», und der Boxer sagt: «Was, du nimmst das Arschloch noch in Schutz?»
Manchmal haut der Boxer Martha dann eine rein, nicht fest, nur gerade so, daß es ein dickes Auge und ein paar Schrammen gibt, die Martha am nächsten Tag stolz zum Einkaufen auf den Marktplatz trägt. Ganymed, Marthas und Kowalskis halb-wüchsiger Sohn, der seinen Vater so glühend haßt wie er seine Mutter liebt, will den ehemaligen Boxer dafür ermorden und schmiedet finstere Pläne. Er, der nach dem schönen Mund-schenk des Zeus heißt, der in unvergänglicher Jugend Dienst an der Tafel der Götter tut, ahnt nichts von den Jahren der Langeweile, die für Martha die Ehe mit Kowalski bedeutet haben. Sie genießt die kleinen Handgreiflichkeiten des ehemaligen Boxers durchaus, nachdem Kowalski sie jahrelang
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