Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
Begegnungen statt. An den durch Kolumbus ausgelösten Migrationswellen waren so viele verschiedene Völker beteiligt, dass die Welt den Aufstieg der ersten der inzwischen selbstverständlich gewordenen polyglotten, multinationalen Metropolen erlebte: Mexico City. Dieser Mix der Kulturen erstreckte sich von der Spitze der sozialen Hierarchie, wo die Konquistadoren in die Aristokratie der eroberten Völker hineinheirateten, bis zu ihrer untersten Stufe, wo sich die spanischen Barbiere bitterlich über die aus China eingewanderten Niedriglohnfriseure beklagten. Diese große, turbulente Metropole, diese globale Wegkreuzung repräsentiert die Vereinigung der beiden im ersten Teil des vorliegenden Buchs beschriebenen Netzwerke. Ein im Präsens geschriebener Schlussteil soll andeuten, dass diese Austauschprozesse unvermindert fortdauern.
In gewisser Hinsicht ist dieses Bild einer Vergangenheit – einer kosmopolitischen Welt, deren Entwicklung von Ökologie und Ökonomie geprägt wurde – überraschend für Menschen, die, wie ich, mit Berichten über heroische Seefahrer aufwuchsen, über geniale Erfinder und Weltreiche, die dank technischer und institutioneller Überlegenheit gegründet wurden. Seltsam ist auch die Erkenntnis, dass die Welt schon seit fast fünf Jahrhunderten die Früchte der Globalisierung erntet. Andererseits nehmen wir bestürzt zur Kenntnis, dass die Globalisierung eine ebenso lange Geschichte ökologischer Erschütterungen und in ihrem Gefolge menschlichen Leids und politischer Umwälzungen hat. Doch es liegt auch eine gewisse Größe in diesem Verständnis unserer Vergangenheit, führt es uns doch vor Augen, dass jeder Ort, jede Region eine Rolle in der menschlichen Geschichte gespielt hat und dass sie alle in den größeren, unvorstellbar komplexen Fortschritt des Lebens auf diesem Planeten eingebettet sind.
Ich schreibe dies an einem warmen Augusttag. Gestern haben meine Frau und die Kinder die ersten Tomaten in unserem Garten gepflückt – in dem etwas verbesserten Tomatenbeet, das ich vor zwanzig Jahren nach dem Besuch im College angelegt hatte.
Nachdem ich die Samen aus dem Katalog ausgesät hatte, entdeckte ich schon bald, warum viele Menschen so gern in ihrem Garten herumwerkeln. Während ich mir im Tomatenbeet zu schaffen machte, fühlte ich mich an das Burgenbauen in meiner Kindheit erinnert: Ich schuf mir eine Zuflucht vor der Welt und zugleich einen eigenen Ort in dieser Welt. In der Erde kniend, gestaltete ich eine kleine Landschaft in jener trauten, tröstlichen Zeitlosigkeit, die durch Wörter wie Zuhause oder Heimat beschworen wird.
Biologen dürfte das als ziemlich unsinnig erscheinen. Im Laufe der Zeit hat mein Tomatenbeet eine bunte Pflanzenvielfalt aufgenommen: Basilikum, Auberginen, Paprika, Kohl, Mangold, mehrere Arten Kopfsalat und salatartiges Blattgemüse sowie einige Ringelblumen, von denen mein Nachbar behauptete, sie würden Schädlinge vertreiben – die Wissenschaft ist da uneins. Nicht eine dieser Arten hat ihren Ursprung näher als 1500 Kilometer von meinem Garten. Genauso wenig wie der Mais und der Tabak, die auf Farmen in der Nähe angebaut werden; Mais kommt aus Mexiko, Tabak aus dem Amazonasgebiet, diese Art jedenfalls. Es gab eine einheimische Art, die heute ausgestorben ist. Genauso ortsfremd sind übrigens auch die Kühe, Pferde und Hofkatzen meiner Nachbarn. Leute, die wie ich ihren Garten als traut und zeitlos empfinden, sind ein Beweis für die menschliche Anpassungsfähigkeit – oder, weniger euphemistisch, für unsere Fähigkeit, in völliger Unkenntnis zu handeln. Weit entfernt davon, ein Ort der Stabilität und Tradition zu sein, ist mein Garten ein biologisches Dokument früherer Wanderbewegungen und Austauschprozesse der Menschheit.
Doch in einer anderen Hinsicht sind meine Empfindungen durchaus zutreffend. Vor fast siebzig Jahren hat der kubanische Anthropologe und Ethnologe Fernando Ortiz Fernández den sperrigen, aber nützlichen Begriff «Transkulturation» geprägt, um zu beschreiben, was geschieht, wenn eine Gruppe Menschen etwas von einer anderen übernimmt – ein Lied, ein Lebensmittel, ein Ideal. Fast unvermeidlich kommt es dabei, so Ortiz, zu einer Verwandlung; die Menschen machen etwas Eigenes daraus, sie passen es an, bearbeiten es und legen es sich zurecht, bis es ihren Bedürfnissen und Verhältnissen entspricht. Seit Kolumbus befindet sich die Welt im Griff einer fortwährenden, hektischen Transkulturation. Jeder Fleck der
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