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Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Titel: Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles C. Mann
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Stattdessen schrieb Colón, seine Männer hätten sich
çiçiones
zugezogen, ein Wort, das ich noch nie gehört hatte. Warum glaubten Cook und der Übersetzer von Colóns Brief, damit sei Malaria gemeint?
    Çiçiones
ist in modernen spanischen Wörterbüchern kaum zu finden – in dem Dutzend spanischer Wörterbücher meiner örtlichen Bibliothek suchte ich vergeblich danach. Auch Google konnte nicht helfen. Genauso wenig wie Colón selbst. Er beschrieb keine Symptome von
çiçiones
, wahrscheinlich nahm er an, sie seien seinen Lesern vertraut. In seinem Bericht über die Krankheit beschränkte er sich auf die Vermutung, sie werde durch die indigenen Frauen in der Umgebung von La Isabela übertragen, «die es dort im Überfluss gibt; und da sie [die Frauen] schamlos und ungepflegt waren, nimmt es nicht Wunder, dass sie [die Männer] in Schwierigkeiten kamen». [191] Für mich las sich das, als habe der Admiral
çiçiones
für eine Art Geschlechtskrankheit gehalten.
    Doch das deckt sich nicht mit anderen Quellen, wie ich erfuhr, als ich mich an Scott Sessions vom Amherst College wandte, einen Fachmann für das Spanisch des 16 . Jahrhunderts. Wie er mir sagte, erschien das erste Wörterbuch der spanischen Sprache 1611 . Dort lautet der Eintrag für
çiçiones
: «Fieber, das mit Schüttelfrost auftritt und dem
cierzo
[Mistral] zugeschrieben wird, weil es sehr heftig, kalt und durchdringend ist.» Das nächste maßgebliche Wörterbuch des Spanischen, zwischen 1726 und 1739 von der Königlich-Spanischen Akademie in mehreren Bänden herausgegeben, definiert
çiçiones
ganz ähnlich als «Fieber, das mit Schüttelfrost beginnt und seinen Namen, wie [das erste Wörterbuch] sagt, dem Umstand verdankt, dass es so heftig und durchdringend ist wie der Mistral: Viel eher aber bezeichnet es wohl das Tertianfieber»: Malaria. Mit anderen Worten, Cook und der Übersetzer hatten recht: Colón dürfte die Malaria beschrieben haben. [192]
    Das Szenario ist nicht unwahrscheinlich. Malaria kann im Körper monatelang latent bleiben, um dann plötzlich mit großer Heftigkeit auszubrechen. Die Krankheit wird von Stechmücken übertragen, die die mikroskopisch kleinen Malariaparasiten aufnehmen, wenn sie das Blut von infizierten Menschen aufsaugen, und sie auf den nächsten Menschen übertragen, den sie stechen. Colón brach im September 1493 zu seiner zweiten Reise auf. Hätte ein Mitglied seiner Mannschaft nach der Landung auf La Isabela einen Malariarückfall erlitten, hätte ein Stich der richtigen Moskitoart genügt, um die Krankheit zu verbreiten – und diese Stechmücken gibt es auf Hispaniola in Hülle und Fülle.
    All das ist hochspekulativ, um es vorsichtig auszudrücken. Heute wissen wir, dass viele verschiedene Krankheiten Schüttelfrost und Fieber verursachen, beispielsweise Grippe und Lungenentzündung. Doch jahrhundertelang konnten die Menschen sie nicht unterscheiden; sie wussten nicht, dass Malaria eine eigene Krankheit ist. Sessions, der Amherst-Historiker, berichtete mir, dass
paludismo
, das moderne spanische Wort für Malaria, erst 1914 in den Wörterbüchern der Königlich-Spanischen Akademie auftauchte. Selbst damals noch war nur wenigen klar, dass sie durch einen von Stechmücken übertragenen Parasiten verursacht wird – das Wörterbuch von 1914 definiert
paludismo
als eine «Gruppe tödlicher Krankheitserscheinungen, die durch Sumpfausdünstungen hervorgerufen werden». [193] Das Wort «Malaria» kommt vom italienischen
mal aria
: übel riechende oder schlechte Luft. Colón hat also vermutlich die damals übliche Bezeichnung für die Krankheit verwendet, kann aber damit auch gewöhnliche Formen von Schüttelfrost und Fieber beschrieben haben. Ein einziges Wort reicht nicht aus, um eine Diagnose zu stellen.
    Aus dem Umstand aber, dass sich keine endgültigen Antworten finden lassen, folgt nicht, dass die Historiker aufhören sollten, nach ihnen zu suchen – dazu ist die Frage viel zu wichtig. Trotz eines globalen Ausrottungsprogramms, das in den 1950 er Jahren begann, ist die Malaria noch immer für unvorstellbares Leid verantwortlich: mehr als eine Dreiviertelmillion Tote pro Jahr, davon die überwiegende Mehrheit Kinder unter fünf Jahren. Jahr für Jahr werden 225  Millionen Menschen mit der Krankheit infiziert, die sie auch bei moderner medizinischer Versorgung monatelang außer Gefecht setzen kann. In Afrika befällt sie so viele Menschen so häufig, dass Wirtschaftswissenschaftler sie für ein

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