Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
wichtiges Entwicklungshemmnis ansehen; laut einer viel zitierten Berechnung liegen seit 1965 in Ländern mit hoher Malariahäufigkeit die jährlichen Pro-Kopf-Wachstumsraten um 1 , 3 Prozent niedriger als in Ländern ohne Malaria – genug, um dafür zu sorgen, dass jene gegenüber diesen an Boden verloren. [194]
Wie heute spielte die Malaria auch in der Vergangenheit eine wichtige Rolle – eine andere und vermutlich größere als die anderen Krankheiten. Als die Europäer Pocken und Grippe nach Amerika einschleppten, lösten sie Epidemien aus: plötzliche Ausbrüche, die indianische Ortschaften und Dörfer heimsuchten, dann wieder erloschen. Malaria dagegen wurde endemisch, eine immer gegenwärtige, schwächende Präsenz in der Region. Von der Bevölkerungsverteilung her stellte die Malaria – zusammen mit einer weiteren, von Stechmücken übertragenen Krankheit, dem Gelbfieber – den amerikanischen Kontinent auf den Kopf. Vor Ankunft dieser Krankheiten war nördlich von Mexiko das Gebiet des heutigen Südwestens der Vereinigten Staaten am dichtesten besiedelt, während in den Feuchtwäldern Mesoamerikas und Amazoniens Millionen von Menschen lebten. Nachdem sich Malaria und Gelbfieber ausgebreitet hatten, wurden diese ehemals gesunden Gebiete ausgesprochen unwirtlich. Ihre einstigen Bewohner flüchteten in sicherere Regionen; Europäer, die die verlassenen Ländereien in Besitz nahmen, überlebten häufig nicht einmal ein Jahr.
Die hohe Sterblichkeit der Europäer habe sich lange ausgewirkt, meinen Daron Acemoglu, Simon Johnson und James A. Robinson, ihres Zeichens Wirtschaftswissenschaftler an der Havard University und dem Massachusetts Institute of Technology. Sogar heute noch sind die Gebiete, in denen europäische Kolonisten nicht überleben konnten, sehr viel ärmer als die Regionen, die ihrer Gesundheit zuträglicher waren. Der Grund sei, so die Forscher, dass die Eroberer in den Krankheitszonen andere Institutionen etablierten als in den gesünderen Gebieten. Außerstande, stabile, bevölkerungsreiche Kolonien in Malariaregionen zu schaffen, gründeten die Europäer sogenannte
extractive states
[195] , wie Acemoglu, Johnson und Robinson sie nennen – von Joseph Conrad im
Herz der Finsternis
unvergesslich beschrieben am Beispiel Belgisch-Kongos, wo eine winzige Gruppe krawattenbewehrter Europäer eine unermessliche Schar angeketteter, nackter Sklaven, «nichts als schwarze Schatten, krank und verhungert», zwingt, einen Schienenstrang zur Beförderung des Elfenbeins aus dem Landesinneren zu bauen.
Der Tabak brachte die Malaria nach Virginia, indirekt, aber unaufhaltsam, und von dort aus breitete sie sich nach Norden, Süden und Westen aus, bis sie große Teile Nordamerikas fest im Griff hatte. Zuckerrohr, ein weiterer Überseeimport, führte die Krankheit auf ähnliche Weise – zusammen mit ihrem ständigen Begleiter, dem Gelbfieber – in die Karibik und Lateinamerika ein. Da beide Krankheiten die europäischen Arbeiter auf amerikanischen Tabak- und Zuckerplantagen töteten, holten die Kolonisten gefangene Afrikaner als Arbeitskräfte ins Land – die menschliche Komponente des kolumbischen Austauschs. Mit einem Wort: Ökologische Importe bedingten einen wirtschaftlichen Austausch, der seinerseits bis in die Gegenwart reichende politische Konsequenzen hatte.
Zu behaupten, Malaria und Gelbfieber seien für den Sklavenhandel verantwortlich, wäre genauso übertrieben wie die These, sie würden erklären, warum große Teile Lateinamerikas noch immer arm sind, warum in
Vom Winde verweht
die Baumwollplantagen der Vorkriegszeit auf riesigen Grasflächen lagen, warum Schottland sich mit England zum Vereinigten Königreich vereinigte oder warum die dreizehn Kolonien, die schwach und uneins waren, ihre Unabhängigkeit im Revolutionskrieg gegen das mächtige Großbritannien erstritten. Doch auch das wäre nicht völlig falsch.
Seasoning
Malaria wird durch die etwa zweihundert Arten der Gattung
Plasmodium
hervorgerufen, sehr alte mikroskopisch kleine Parasiten, die zahllose Reptilien, Vögel und Säugetiere heimsuchen. Vier dieser zweihundert Arten greifen den Menschen an. Und darauf verstehen sie sich entmutigend gut. [196]
Obwohl der Parasit nur aus einer einzigen Zelle besteht, ist seine Lebensgeschichte höchst komplex; er verändert sein äußeres Erscheinungsbild mit der Mutwilligkeit von komödiantischen Shakespeare-Figuren. Aus menschlicher Sicht ist jedoch entscheidend, dass er von
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