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Kolyma

Kolyma

Titel: Kolyma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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hineingemogelt...«
    »Die Lebensmittel sind vergiftet? Aber sie werden zuerst die Wachen probieren lassen.«
    »Das Essen ist mit einem Giftstoff versetzt. In sechs Stunden werden alle bewusstlos sein, in zehn Stunden tot. Es spielt keine Rolle, ob sie die Wachen erst vorkosten lassen, denn unmittelbare Symptome gibt es nicht. In acht Stunden stürmen wir das Lager, injizieren unseren Kollegen ein Gegengift und lassen die Aufständischen sterben. Vielleicht werden nicht alle Gefangenen zulangen, aber die meisten schon, was die Zahl der Sträflinge erheblich dezimieren sollte. Wir müssen diese Revolte niederschlagen, bevor Moskau mit seinen Spionen anfängt, sich einzumischen.«
    Jetzt hatte Leo keine Zweifel mehr. Dies war der Mann, der Timurs Tod angeordnet hatte. Mühsam seine Wut unterdrückend, entgegnete er: »Ein ausgezeichneter Plan, Genosse!«
    Present nickte und grinste über seine eigene mörderische Genialität. Er fand ebenfalls, dass es ein ausgezeichneter Plan war.
    Leo wurde entlassen und kehrte durch den Befehlsstand zum Lastwagen zurück. Als er angekommen war und ins Führerhaus kletterte, brannte wieder dieselbe Wut in ihm wie vorhin schon, als er Timurs Uhr entdeckt hatte. Durch das zertrümmerte Seitenfenster starrte er in Abel Presents Richtung. Sie mussten schleunigst los, jetzt, wo alle noch mit dem Flugzeug beschäftigt waren, war ihre einzige Chance. Aber Leo konnte nicht. Er konnte Abel Present nicht davonkommen lassen. Er öffnete die Fahrertür.
    Georgi umklammerte seinen Arm.
    »Wo willst du hin?«
    »Ich habe noch was zu erledigen.«
    Georgi schüttelte den Kopf »Wir müssen los, solange sie abgelenkt sind.«
    »Es wird nicht lange dauern.«
    »Was hast du noch zu erledigen?«
    »Das geht nur mich etwas an.«
    »Das geht uns alle an.«
    »Dieser Mann da hat meinen Freund getötet.« Leo riss sich los.
    Aber da beugte sich Lasar vor, berührte Leos Arm und machte ihm Zeichen, dass er etwas sagen wollte. Leo lehnte sein Ohr an Lasars Mund.
    Lasar flüsterte: »Nicht jeder kriegt... was er verdient.«
    Diese matten Worte reichten aus, um Leos heiligen Zorn abzukühlen. Er ließ den Kopf sinken. Lasar hatte recht. Er war nicht hergekommen, um Rache zu üben. Er war wegen Soja hier. Timur war für Soja gestorben. Sie mussten sofort los. Abel Presents mörderische Tat würde ungesühnt bleiben.

    Am selben Tag

    Der Schatten, den der Berg warf, verhüllte nicht nur den Gulag 57, sondern ragte über die gesamte Hochebene bis hin zum Feldlager. Abel Present sah auf die Uhr. Die Wirkung des Gifts würde sehr bald eintreten und die Sträflinge ohnmächtig machen. Der Zeitfaktor spielte ihnen in die Hände. Nachts würde es niemanden im Gulag wundern, wenn die Gefangenen müde wurden, und noch bevor sie Verdacht schöpfen konnten, würden sich unbemerkt Bodentruppen nähern, die Zäune aufschneiden und die Kontrolle übernehmen. Die Sträflinge würde man bis auf einige wenige töten, die man vorzeigen konnte, um der Anschuldigung eines Massakers zu entgehen. Die Nachricht dieses Erfolgs würde sich in der ganzen Gegend verbreiten. Alle anderen Lager würden die klare Botschaft vernehmen, dass der Aufstand fehlgeschlagen war und die Gulags fortbestanden. Dass sie nicht etwa der Vergangenheit angehörten, sondern der Zukunft, und zwar für alle Zeit.
    »Entschuldigen Sie, Genosse Direktor.«
    Vor Present stand ein schmuddelig aussehender Wachmann.
    »Ich war auf dem Lastwagen, der aus dem Gulag 57 gekommen ist. Ich bin einer der verletzten Beamten, die sie rausgelassen haben.«
    Der Arm des Mannes war verbunden. Abel lächelte ihn herablassend an. »Warum sind Sie nicht im Sanitätszelt?«
    »Ich habe meine Verletzungen vorgetäuscht, um auf den Laster zu kommen. Mir fehlt nicht viel. Der Arzt sagt, dass ich mich zum Dienst melden kann.«
    »Sie müssen sich um Ihre Kollegen keine Sorgen machen. Wir holen sie bald da raus.«
    Er wollte sich schon abwenden, doch der Mann blieb stehen.
    »Wegen denen bin ich nicht hier. Es geht um die drei Männer, die vorne saßen.«

    Am selben Tag

    Sie fuhren über die nächtliche Landstraße, die von den Scheinwerfern nur unzureichend ausgeleuchtet wurde. Mühsam kämpfte Leo sich vor, hielt das Lenkrad fest umklammert und spähte angestrengt hinaus in die Dunkelheit. Nur noch schieres Adrenalin hielt seine Erschöpfung in Schach. Die Strecke nach Magadan hatte er nur bewältigt, weil es immer schnurgerade bergab gegangen war, mit Ausnahme einer schmalen,

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