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Kolyma

Kolyma

Titel: Kolyma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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schwierig zu meisternden Holzbrücke. Zum ersten Mal konnten sie jetzt die Lichter von Magadan sehen, das unten im Tal direkt am Meer lag, welches sich als weite, schwarze Fläche dahinter erstreckte. Der Flughafen befand sich nicht weit davon entfernt, unmittelbar nördlich des Hafens.
    Plötzlich hörten sie ein pfeifendes Geräusch. Im nächsten Moment hing ein orangefarbenes Leuchtgeschoss vor ihnen im Nachthimmel und verbreitete zischend ein phosphorisierendes Licht. Vom Stadtrand aus wurde eine zweite Leuchtpatrone abgeschossen, dann eine dritte und vierte - orangefarbene Sterne, die die Landstraße beschienen. Leo trat hart auf die Bremse.
    »Sie suchen nach uns.«
    Er schaltete die Scheinwerfer ab. Dann lehnte er sich aus dem zertrümmerten Fenster und schaute über die Schulter. Er sah, wie sich in einiger Entfernung zahlreiche Scheinwerferpaare den Berg hinabwanden.
    »Sie kommen aus beiden Richtungen. Ich muss von der Straße runter.«
    Georgi schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Wenn wir auf der Straße bleiben, haben sie uns in ein paar Minuten erwischt.«
    »Und wie viel länger würde es abseits der Straße dauern? Ihr müsst Zeit gewinnen.«
    Dann wandte Georgi sich Lasar zu. »Ich habe mich längst an den Gedanken gewöhnt, dass ich Kolyma nie mehr verlassen werde. Schon vor langer Zeit.«
    Lasar schüttelte abwehrend den Kopf.
    Aber Georgi, der Mann, der ihm die Stimme lieh, ließ sich nicht umstimmen. »Hör auf mich, Lasar, nur ein einziges Mal. Es sollte eben nicht sein, dass ich mit dir nach Moskau gehe. Also lass mich jetzt machen.«
    Lasar flüsterte Georgi etwas ins Ohr, und zum ersten Mal musste dieser die Worte nicht laut wiederholen. Sie waren nur für ihn bestimmt.
    Eine zweite Serie Leuchtkugeln wurde abgefeuert. Sie erleuchteten den ganzen Himmel und kamen immer näher. Leo stieg aus dem Lastwagen, Lasar folgte ihm. Georgi setzte sich ans Steuer. Er hielt noch einmal inne und sah durch das zerschmetterte Fenster hinaus auf Lasar, dann fuhr er unsicher los in Richtung Magadan. Lasar hatte einen Teil seiner selbst verloren - seine Stimme.
    Zu Fuß stolperten Leo und Lasar in der Finsternis über das zerklüftete und vereiste Gelände. Georgi hatte recht gehabt. Der Boden war so holprig, dass der Lastwagen nicht weit gekommen wäre. Stechender Schmerz schoss durch Leos Beine, er fiel hin. Lasar half ihm auf und stützte ihn. Es war ein seltsames Paar, das sich da Arm in Arm vorwärtskämpfte.
    Ein weiteres Sperrfeuer aus Leuchtkugeln wurde in den Himmel geschossen. Ihre Zyklopenaugen suchten die Straße ab. Dann hörte man Gewehrschüsse. Leo und Lasar blieben stehen und drehten sich um. Der Lastwagen war entdeckt worden. Jetzt fuhr er mit voller Geschwindigkeit auf eine Straßensperre zu.
    Unter heftigem Beschuss und außer Kontrolle schien er hin und her zu schlingern, hielt sich noch für kurze Zeit auf der Straße, dann rutschte er weg und kippte um. Die Beamten würden nur einen Toten vorfinden und dann die Suche sofort ausweiten.
    »Uns bleibt nicht viel Zeit«, mahnte Leo.
    Als sie den Rand des Rollfeldes erreichten, blieb Leo kurz stehen und starrte prüfend auf das primitive Flughafengelände. Drei Flugzeuge standen dort. Aber nur eines, eine hatte zwei Triebwerke, und war dazu geeignet, die gesamte Sowjetunion zu überqueren.
    »Wir laufen rüber zu der Iljuschin, das ist die größte Maschine. Langsam gehen, so als wäre alles in Ordnung. Wir müssen aussehen, als gehörten wir hierhin.«
    Die beiden traten aus ihrer Deckung. Es gab nur eine Handvoll Soldaten und wenig Flugpersonal. Keine Patrouillen, nichts, was auf Unruhe hindeutete. Leo klopfte an die Luke des Flugzeugs. Man hatte ihm versprochen, dass sie ohne Vorwarnung jederzeit würden abfliegen können. Da die Möglichkeit bestand, dass ihre Flucht verzögert würde, hatte ihn Panin damit beruhigt, dass immer jemand an Bord sein würde, ganz egal, wann sie ankamen.
    Leo klopfte noch einmal. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde er rastloser und verzweifelter. Endlich ging die Luke auf. Ein junger Mann, der kaum älter als zwanzig Jahre schien, linste heraus. Offensichtlich hatte er gerade ein Nickerchen gemacht. Ein schwacher Alkoholgeruch entwich der Kabine.
    »Sind Sie auf Befehl von Frol Panin hier?«, fragte Leo.
    Der junge Mann rieb sich die Augen. »So ist es.«
    »Wir müssen nach Moskau zurückfliegen.«
    »Es sollten aber drei sein.«
    »Die Dinge haben sich geändert. Wir müssen sofort los.« Ohne die Antwort

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