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Kolyma

Kolyma

Titel: Kolyma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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abzuwarten, bestieg Leo das Flugzeug und half Lasar hinein, dann schloss er die Luke.
    Der junge Mann war verdutzt. »Aber wir können noch nicht losfliegen.«
    »Warum nicht?«
    »Der Pilot und der Kopilot sind nicht da.«
    »Wo sind sie?«
    »Sie essen in der Stadt zu Abend. Es dauert nur eine halbe Stunde, sie zu holen.«
    Leo schätzte, dass ihnen höchstens noch fünf Minuten blieben. Er nahm sich den Jungen vor. »Wie heißt du?«
    »Konstantin.«
    »Ist die Maschine flugbereit?«
    »Wenn wir einen Piloten hätten.«
    »Wie oft bist du schon geflogen?«
    »Dieses Flugzeug hier? Noch nie.«
    »Aber du bist Pilot.«
    »Ich bin noch in der Ausbildung. Kleinere Maschinen bin ich schon geflogen.«
    »Aber die hier noch nie?«
    »Ich habe den anderen zugesehen, wie sie es machen.« Das musste reichen.
    »Konstantin, jetzt hör mir mal gut zu. Die werden uns umbringen, und dich auch, wenn wir nicht sofort losfliegen. Entweder sterben wir hier, oder du versuchst jetzt, dieses Flugzeug in die Luft zu kriegen. Ich will dir keine Angst machen. Aber etwas anderes bleibt uns nicht übrig.«
    Der junge Mann starrte die Pilotenkanzel an. Leo packte ihn.
    »Ich glaube an dich. Du schaffst das. Und jetzt mach die Maschine klar.«
    Leo setzte sich in den Kopilotensitz, vor dem sich ein verwirrendes Armaturenbrett mit lauter Knöpfen und Anzeigen befand. Mit Flugzeugen kannte er sich kaum aus. Konstantins Hände zitterten. »Ich lasse jetzt die Motoren an.«
    Die Propeller erwachten zum Leben und begannen sich zu drehen. Leo warf einen Blick aus dem Fenster. Sie hatten die Aufmerksamkeit der Soldaten auf sich gezogen. Einige kamen auf sie zu. »Beeilung.«
    Das Flugzeug rollte zum Flugfeld. Krächzend meldete sich das Funkgerät. Bevor die Flugkontrolle sie ansprechen konnte, schaltete Leo es aus. Nicht nötig, dass der junge Pilot sich auch noch deren Drohungen anhörte. Lasar, der hinter ihnen saß, tippte Leo auf die Schulter und deutete aus dem Fenster. Die Soldaten liefen jetzt hinter dem Flugzeug her. Sie hatten ihre Pistolen gezückt.
    »Konstantin, wir müssen abheben.«
    Als das Flugzeug beschleunigte, begannen die Soldaten zu feuern. Kugeln prallten von den Motoren ab. Gleich würden sie abheben. Sie würden es schaffen. Leo schaute auf. Direkt vor ihnen senkte sich der TU -4 -Bomber.
    Der junge Flieger schüttelte den Kopf und drosselte die Geschwindigkeit.
    »Nicht langsamer werden«, befahl Leo. »Das ist unsere einzige Chance!«
    »Das soll eine Chance sein?«
    »Wir müssen unbedingt in die Luft.«
    »Wir werden mit denen zusammenstoßen. Über den Bomber schaffen wir es nicht hinweg.«
    »Flieg direkt auf die Tupolew zu. Die werden abdrehen. Nun mach schon!«
    Sie erreichten das Ende der Rollbahn.
    Die Iljuschin hob ab und flog direkt auf eine Kollision mit dem Bomber zu. Entweder brach die Tupolew ihren Landeanflug ab, oder die beiden Maschinen würden zusammenstoßen.
    »Die machen nicht Platz!«, schrie Konstantin. »Wir müssen landen!«
    Leo umklammerte Konstantins Hand und hielt die Maschine 324 auf Kurs. Wenn sie jetzt eine Bruchlandung machten, würden sie gefasst und erschossen werden. Sie hatten nichts mehr zu verlieren. Anders als die Besatzung des Bombers.
    Die Tupolew zog steil nach oben, und im nächsten Moment flog die Iljuschin unter ihr hindurch. Als die beiden Maschinen einander passierten, streifte ihre Heckflosse den Bauch des Bombers. Zum ersten Mal war jetzt der Himmel vor ihnen frei. Konstantin lächelte. Es war das verwirrte Lächeln eines Menschen, der nicht fassen konnte, das er noch am Leben war.
    Leo kletterte aus seinem Sitz und setzte sich nach hinten zu Lasar. Magadan war nur noch eine Ansammlung von Lichtern in der weiten Finsternis. In diese Welt hatte Leo Lasar verbannt - in eine Wildnis, die sieben Jahre lang sein Zuhause gewesen war.

Moskau

    Am selben Tag

    Raisa saß auf Elenas Bett und sah zu, wie sie schlief. Seit Frajeras Besuch waren Elenas Fragen drängender geworden, so als hätte sie gespürt, dass sich etwas verändert hatte. Irgendwelche Versprechungen, dass Soja schon ganz bald nach Hause kommen würde, reichten jetzt nicht mehr. Gegen derlei Zusicherungen war Elena immun geworden, sie hielten nur noch eine Stunde vor, dann ließ ihre Wirkung nach, und die tiefe Verstörtheit kehrte zurück.
    Das Telefon klingelte. Raisa eilte hinaus und hob ab. »Hallo?«
    »Raisa, hier ist Frol Panin. Wir haben mit Leo gesprochen. Das Flugzeug ist auf dem Weg. In weniger als fünf

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