Kolyma
Vorräten der Elite. Viele hatten solcherlei Getränke, die Frajera genau für diesen Augenblick gehortet hatte, noch nie probiert. Als Leo jetzt die Vorbereitungen zum Fest verfolgte, wurde ihm klar, dass Frajera die ganze Zeit an einen Sieg geglaubt hatte.
Um die Kälte zu vertreiben, hatte man in der Mitte des Hofes ein mannshohes Feuer errichtet, die Flammen züngelten hinauf in den nächtlichen Himmel. Unbeholfene Nachbildungen von Stalin und seinem ungarischen Pendant Räkosi waren in Uniformen gesteckt worden, die man den Leichen sowjetischer Soldaten ausgezogen hatte. Leo registrierte, wie Frajera vom Balkon aus die brennenden Puppen sorgsam fotografierte und dann die Kamera wieder verstaute.
Während die brennenden Uniformen sich allmählich in Asche verwandelten, tauchte eine cigany-Kapelle mit ihren handbemalten Instrumenten auf. Anfangs spielten sie noch zaghaft, wie aus Furcht, ihre Geigen könnten einen sowjetischen Granatenbeschuss auf sie lenken, doch allmählich vergaßen sie ihre Angst. Die Musik wurde immer lauter und schneller, und die Aufständischen fingen an zu tanzen.
Leo und Raisa waren abseits des Festes unter Bewachung gestellt und mussten mitansehen, wie Soja sich betrank und der Champagner ihre Wangen rötete. Frajera trank aus einer Flasche, die sie mit niemandem teilte - nichts überließ sie dem Zufall. Als sie sah, dass Leo sie beobachtete, kam sie herbei. »Ihr könnt ruhig tanzen, wenn ihr wollt.«
»Was hast du jetzt mit uns vor?«, fragte Leo.
»Ehrlich gesagt weiß ich das noch nicht genau.«
Soja versuchte, Malysch zum Tanzen zu bewegen. Ohne Erfolg griff sie nach seiner Hand und zog ihn in den Kreis derer, die das Feuer umgaben. Er, den sie schon behände wie eine Katze Regenrinnen hatte hinaufklettern sehen, stellte sich jetzt tollpatschig an.
»Tu einfach so, als wären wir ganz allein«, flüsterte Soja ihm zu.
Und als seien nur sie beide da, tanzten sie um das Feuer. Die Welt um sie herum verschwamm, die Flammen erhitzten ihre Gesichter. Immer schneller wirbelten sie herum, bis die Musik schließlich aufhörte und alle applaudierten. Doch für die beiden drehte die Welt sich weiter, und sie hatten nur einander, um sich festzuhalten.
30. Oktober
Das Feuer war zu einem Haufen glimmender Asche und verkohlten Scheiten herabgebrannt. Die cigany-Kapelle hatte aufgehört zu spielen. Die Feiernden, sofern sie nicht besinnungslos in einer Ecke lagen, waren nach Hause zurückgekehrt.
Malysch und Soja hatten sich nahe dem ausgehenden Feuer in eine Decke gerollt. Karoly summte irgendeine unidentifizierbare Melodie. Nachdem er um Alkohol gebeten hatte, um den dumpfen Schmerz in seinem Bein zu betäuben, war er nun betrunken. Frajera dagegen war so putzmunter, als hätte sie sich die ganze Nacht ausgeruht.
»Warum sollten wir denn in einer viel zu engen Wohnung schlafen?«, fragte sie.
Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als weiter an Frajeras Zug durch die Stadt teilzunehmen. Also verließen sie den Hof, überquerten die Donau und trotteten danach müde ihrem Ziel entgegen, den Regierungsvillen auf den satten Hügeln von Buda.
Malysch und Soja kamen mit, außerdem die übrigen wory und ihr ungarischer Übersetzer. Vom Gipfel des Rosenhügels aus verfolgten sie den Sonnenaufgang über der Stadt.
»Zum ersten Mal nach über zehn Jahren wacht diese Stadt in Freiheit auf«, erklärte Frajera.
Sie kamen am Tor einer von hohen Mauern umgebenen Villa vorbei. Erstaunlicherweise waren rund um das Grundstück Wachen postiert.
Frajera wandte sich an ihren Übersetzer. »Sag ihnen, sie sollen nach Hause gehen. Sag ihnen, das hier ist jetzt Volkseigentum.«
Der Übersetzer näherte sich dem Tor und wiederholte ihre Worte auf Ungarisch. Auf diese Idee waren die Wachen, die vermutlich vom Ausgang der Kämpfe gehört hatten, ohnehin schon gekommen. Schließlich bewachten sie hier die Privilegien eines untergegangenen Regimes. Sie öffneten das Tor, nahmen ihre Siebensachen und machten sich davon, während der Übersetzer aufgeregt zurückkehrte. »Sie sagen, das war Räkosis Villa.«
Karoly raunte Leo zu: »Die Spielwiese meines ehemaligen Chefs, des einst so glorreichen Führers meines Landes. Hier haben wir ihn immer angerufen und gefragt: Sollen wir in den Mund des Verdächtigen pissen, Genosse Vorsitzender? Wollen Sie dabei zuhören? Ja, hat er dann gesagt. Ich will alles hören.«
Sie betraten das mustergültig angelegte Grundstück.
Frajera rauchte eine selbstgedrehte
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