Kolyma
ich werde von Panin hintergangen, ich hintergehe ihn selbst. Allein hätte ich das hier nie geschafft. Dann wäre es mit meiner Rache schon in Moskau vorbei gewesen. Doch jetzt kann ich mich nicht nur an den Männern und Frauen rächen, die mich verhaftet haben, so wie ich es ursprünglich vorhatte - jetzt kann ich mich an ebendem Staat rächen, der mein Leben zerstört hat. Jetzt kann ich Russland Schaden zufügen.«
»Nein, das kannst du nicht! Denn selbst wenn die sowjetischen Streitkräfte hundert Panzer und tausend Soldaten verlieren sollten, wird das am Ergebnis nichts ändern. Das juckt die überhaupt nicht.«
»Panin unterschätzt, wie tief der Hass hier sitzt.«
»Hass allein reicht nicht.«
Frajera wandte ihr Augenmerk Karoly zu. »Bist du sein Übersetzer? Hat Panin dich dazu beauftragt?«
»Ja.«
»Hast du außerdem noch die Anweisung erhalten, mich zu töten?«
Karoly dachte kurz nach, doch dann gab er Antwort. »Entweder ich oder Leo sollten dich töten. Sobald der Aufstand begonnen hatte.«
Leo war schockiert. Doch Frajera schüttelte nur gleichgültig den Kopf. »Ist dir nicht klar geworden, weshalb du eigentlich hier bist, Leo? Ohne es auch nur zu ahnen, solltest du mich für die zur Strecke bringen. Du arbeitest für Panin, ich nicht.«
»Das wusste ich nicht.«
»Das ist wohl deine Standardantwort auf alles - das wusste ich nicht. Dann werde ich es dir mal erklären. Ich habe diesen Aufstand nicht vom Zaun gebrochen. Ich habe ihn nur unterstützt. Auch wenn du mich umbringst, ändert das nichts.«
Leo wandte sich an Soja. Sie hatte ein Gewehr geschultert, an ihrem Gürtel baumelten Handgranaten. Ihre Kleider waren zerrissen, die Hände zerschunden.
Soja hielt seinem Blick stand, das Gesicht zu einer hasserfüllten Maske erstarrt, so als befürchte sie, dass sich sonst auch noch andere Gefühle anschleichen könnten. Neben ihr stand der Junge, der den Patriarchen ermordet hatte. Er hielt ihre Hand.
»Wenn ihr kämpft, werdet ihr sterben.«
Frajera wandte sich an Soja. »Was sagst du dazu, Soja? Maxim spricht mir dir.«
Soja reckte das Gewehr in die Luft. »Wir kämpfen.«
Am selben Tag
Raisa hätte gern etwas gesagt, aber Leos ganze Körpersprache verbot es ihr. Seit er mit Gewalt in diese Zelle verfrachtet worden war, hatte er kein Wort von sich gegeben. Auf der anderen Seite des Zimmers lag Karoly mit geschlossenen Augen auf einer Bettstelle. Er war bei der Gefangennahme am Bein verwundet worden.
»Es tut mir leid, Leo«, begann Raisa.
Leo schaute zu ihr auf. »Ich habe einen Fehler gemacht, Raisa. Ich hätte dir das mit Soja sagen sollen. Ich hätte dir erzählen sollen, dass sie mit einem Messer vor meinem Bett gestanden hat.«
Immer noch mit geschlossenen Augen daliegend, warf Karoly ein: »Reden wir hier von dem Töchterchen, das wir gerade zu retten versuchen?« Er machte ein Auge auf und linste damit erst Leo und dann Raisa an.
Um Karoly nicht weiter am Gespräch teilhaben zu lassen, senkte Leo die Stimme. »Wenn wir überhaupt eine Chance haben wollen, hier wegzukommen, müssen wir einander vertrauen können.«
Raisa nickte. »Mit Vertrauen allein kommen wir allerdings nicht aus diesem Zimmer raus.«
»Hast du eine Idee, wie wir Soja weglotsen sollen?«, fragte Leo.
»Sie ist verliebt.«
Überrascht fuhr Leo zurück. »Verliebt? In wen?«
»In einen Gangster. Er ist noch jung, so alt wie sie. Er heißt Malysch.«
»Der Junge ist ein Mörder! Ich war selbst dabei, als er den Patriarchen umgebracht hat. Er hat einen Siebzigjährigen mit einem Draht garottiert.«
Karoly setzte sich auf. »Hört sich an, als würden die zwei gut zusammenpassen.«
Raisa nahm Leos Hände. »Malysch könnte unsere letzte Rettung sein.«
Am selben Tag
Soja lag flach auf dem Bauch, das Gewehr vor sich. Die gesamte Fassade auf der zerstörten Seite des Hauses war von Granaten durchsiebt und drohte einzustürzen. Durch das Zielfernrohr sah sie am anderen Ende der Kossuthbid, der Brücke nicht weit vom Parlament, zwei Panzer stehen. Genau wie Leo vorausgesagt hatte, warteten sie vermutlich auf den Befehl, in die Stadt vorzurücken.
Soja hatte nicht damit gerechnet, Leo noch einmal wiederzusehen. Wenn sie an sein Gesicht dachte, konnte sie sich nicht konzentrieren. Außerdem musste sie dringend pinkeln. Erneut nahm sie die Panzer ins Visier, doch da rührte sich nichts. Also legte sie ihr Gewehr hin und schaute sich in dem zertrümmerten Schafzimmer um, in dem sie sich befand. Da die
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