Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
Mitternacht.«
Krohn sah Harry an, als dieser nicht antwortete.
»Nicht, dass ich das gegen Sie verwenden könnte, Hole, aber Ihr Mangel an sichtbarer Überraschung ist recht vielsagend und spricht für die Glaubwürdigkeit meiner Klientin.«
»Braucht sie noch Verstärkung?«
Krohn legte die Fingerkuppen aneinander. »Ich hoffe, Sie sind sich über den Ernst der Lage bewusst, Hole. Allein die Tatsache, dass diese Vergewaltigung angezeigt und öffentlich gemacht wird, wird Ihr Leben komplett auf den Kopf stellen.«
Er versuchte, sich Krohn in einer Robe vorzustellen. Beim Plädoyer. Den Zeigefinger auf Harry auf der Anklagebank gerichtet, während Silje sich tapfer eine Träne abwischte. Der angewiderte Gesichtsausdruck des Richters und die Kaltfront, die aus dem Publikum auf ihn zuzog. Das rastlose Gekratze der Bleistiftspitzen auf den Blöcken der Journalisten.
»Der einzige Grund, weshalb jetzt ich hier sitze und nicht zwei Polizisten, die Sie gleich festnehmen und vorbei an Kollegen und Studenten nach draußen geleiten, ist die Tatsache, dass ein solches Vorgehen auch für meine Klientin nicht folgenlos bleiben würde.«
»Wieso?«
»Das verstehen Sie doch wohl. Sie würde für immer die Frau sein, die einen Kollegen ins Gefängnis gebracht hat. Man würde sie als Verräterin ansehen. So etwas schätzt man bei der Polizei nicht, das weiß ich sehr wohl.«
»Sie haben zu viele Filme geschaut, Krohn. Polizisten schätzen es sehr wohl, dass Vergewaltigungen aufgeklärt werden, egal, wer die Verdächtigen sind.«
»Und das Verfahren selbst wäre natürlich eine unheimliche Belastung für ein junges Mädchen. Besonders wenn wichtige Examina vor der Tür stehen. Da sie es nicht gewagt hat, zur Polizei zu gehen, und auch erst nachdenken musste, bevor sie zu mir gekommen ist, sind natürlich viele der technischen und biologischen Spuren verloren. Was bedeuten kann, dass das Verfahren länger als normal dauern wird.«
»Und welche Beweise haben Sie?«
»Blaue Flecken, Kratzspuren. Ein zerrissenes Kleid. Und wenn ich darum bitte, dieses Büro auf technische Spuren zu untersuchen, werden wir mit Sicherheit Textilreste des gleichen Kleides finden.«
»Wenn?«
»Ja, ich habe nicht nur schlechte Neuigkeiten, Harry.«
»Ach?«
»Ja, ich darf Ihnen eine Alternative anbieten.«
»Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben?«
»Sie sind ein intelligenter Mann, Hole. Sie wissen, dass wir keine direkten Beweise haben, die Sie zweifelsfrei überführen könnten. Das ist ja das Typische an Vergewaltigungen, nicht wahr? Da steht ja häufig Aussage gegen Aussage, und es endet nicht selten mit zwei Verlierern. Eine Geschädigte, die verdächtigt wird, zu freizügig gewesen zu sein oder falsche Anklagen erhoben zu haben, und ein Freigesprochener, von dem alle denken, dass er bloß Glück gehabt hat. In Anbetracht dieser potentiellen Lose-lose -Situation hat Silje Gravseng einen Wunsch geäußert, oder besser gesagt, einen Vorschlag gemacht, dem ich mich voll und ganz anschließen kann. Und lassen Sie mich für einen Augenblick aus meiner Rolle als Verteidiger der Gegenseite treten, Hole. Ich rate Ihnen sehr, diesem Vorschlag zuzustimmen, denn die Alternative wäre die Anzeige. Das hat sie klipp und klar zum Ausdruck gebracht.«
»Ach?«
»Ja. Als eine Person, die einen Beruf anstrebt, der die Gesetze dieses Landes verteidigt, erachtet sie es als ihre sonnenklare Pflicht, dafür zu sorgen, dass Vergewaltiger bestraft werden. Aber zum Glück für Sie nicht notwendigerweise von einem Richter.«
»Ach, wie prinzipientreu!«
»An Ihrer Stelle wäre ich nicht so zynisch, sondern eher dankbar, Hole. Ich hätte ihr auch empfehlen können, die Sache anzuzeigen.«
»Und was wollen Sie, Krohn?«
»In kurzen Zügen: dass Sie Ihre Stellung an der Polizeihochschule kündigen und nie wieder irgendeinen Job in Verbindung mit der Polizei annehmen. Und dass Silje in Ruhe weiterstudieren kann, ohne von Ihnen belästigt zu werden. Desgleichen, wenn sie eine Anstellung gefunden hat. Eine herablassende Bemerkung von Ihnen, und die Absprache wird gecancelt und die Vergewaltigung angezeigt.«
Harry stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch, beugte sich mit gesenktem Kopf vor und massierte seine Stirn.
»Ich werde eine schriftliche Vereinbarung in Form eines Vergleichs aufsetzen«, sagte Krohn. »Ihre Kündigung gegen ihr Schweigen. Ein wichtiger Bestandteil dieser Abmachung ist, dass Sie beide Schweigen bewahren. Sie würden ihr kaum
Weitere Kostenlose Bücher