Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
fröhlichen Menschen, die den kurzen Frühling feierten, das kurze Wochenende, das Leben, bevor es vorüber war.
Sie wusste jetzt, warum sie sich so auf diesen idiotischen Code gestürzt hatten. Sie alle wünschten sich verzweifelt, dass es einen Zusammenhang gab, einen Sinn. Aber es gab noch einen Grund und der war viel wichtiger. Es war das Einzige, was sie hatten. Nur deshalb versuchten sie einem Stein etwas zu entlocken, das er gar nicht enthielt.
Sie hatte ihren Blick auf den Bürgersteig vor sich geheftet, schlug mit den Absätzen rhythmisch auf den Asphalt, während sie im Takt dazu mit ihrer stillen Beschwörung fortfuhr: Mach’s noch einmal, du Arsch. Schlag noch einmal zu.
Harry hatte ihre langen Haare gepackt. Sie glänzten und waren dick und weich wie ein Tau. Er zog die Hand zu sich und sah ihren Kopf nach oben gehen, den schmalen, geschwungenen Rücken mit der Wirbelsäule, die sich wie eine Schlange unter der glühenden, von Schweiß benetzten Haut wand. Dann drang er noch einmal in sie ein. Ihr Stöhnen klang wie ein niederfrequentes Knurren aus der Tiefe ihrer Brust, ein wütender, frustrierter Laut. Manchmal liebten sie sich in aller Stille, langsam wie in einem langsamen Tanz. Andere Male war es eher wie ein Kampf. So auch an diesem Abend. Als würde ihre Lust nur noch mehr Lust wecken, wenn sie so wie jetzt war. Als ob man Feuer mit Benzin löschte. Manchmal eskalierte es, geriet außer Kontrolle, und er dachte, dass das nicht gutgehen konnte.
Ihr Kleid lag neben dem Bett auf dem Boden. Rot. Sie war so schön, wenn sie Rot trug. Er bedauerte es fast, dass sie es ausgezogen hatte. Nackte Beine? Nein, ihre Beine waren nicht nackt gewesen. Harry beugte sich vor und sog ihren Duft ein.
»Hör nicht auf!«, stöhnte sie.
Opium. Rakel hatte ihm erzählt, dass der bittere Geruch des Parfüms dem Schweiß der Rinde eines arabischen Baums entstammte. Nein, nicht dem Schweiß, den Tränen. Den Tränen einer Prinzessin, die wegen einer verbotenen Liebe nach Arabien geflohen war. Prinzessin Myrrha. Myrrha. Ihr Leben hatte in Trauer geendet, aber Yves Saint Laurent zahlte ein Vermögen für einen Liter ihrer Tränen.
»Hör nicht auf, drück …«
Sie hatte seine Hand ergriffen und legte sie an ihren Hals. Er drückte vorsichtig zu. Spürte die Adern und die angespannten Muskeln ihres schlanken Halses.
»Fester! Fes…«
Ihre Stimme wurde abgewürgt, als er tat, was sie verlangte. Er wusste, dass ihr Hirn jetzt keinen Sauerstoff mehr bekam. Das war ihr Ding, etwas, das er tat und das ihn erregte, weil es sie erregte. Aber dieses Mal war etwas anders. Der Gedanke, dass sie in seiner Gewalt war und er mit ihr tun konnte, was er wollte. Er starrte auf ihr Kleid. Das rote Kleid. Spürte, wie die Bilder kamen und er sie nicht zurückhalten konnte. Er schloss die Augen. Sah sie auf allen vieren. Sie drehte sich langsam um, wandte ihm ihr Gesicht zu, ihre Haare wechselten die Farbe, und plötzlich sah er, wer sie war. Ihre Augen waren verdreht und ihr Hals hatte blaue Flecken, die zum Vorschein kamen, als die Lampen der Kriminaltechniker aufleuchteten.
Harry ließ los und zog seine Hand zurück. Aber Rakel war schon an dem Punkt. Sie war erstarrt und zitterte wie ein Reh in der Sekunde, bevor es zu Boden stürzt. Dann starb sie. Kippte nach vorn, mit der Stirn auf die Matratze. Aus ihrer Kehle kam ein Schluchzen. So blieb sie liegen, wie im Gebet.
Harry zog sich aus ihr heraus. Sie gab einen wimmernden Laut von sich, drehte sich um und sah ihn anklagend an. Gewöhnlich wartete er, bis sie für diese Trennung bereit war.
Harry küsste sie in den Nacken, schob sich aus dem Bett, nahm den Paul-Smith-Slip mit, den sie ihm auf einem Flughafen zwischen Genf und Oslo gekauft hatte, und fischte das Päckchen Camel aus der Wrangler, die über dem Stuhl hing. Er ging nach unten ins Wohnzimmer, setzte sich in einen Sessel und sah aus dem Fenster. Die Nacht war stockdunkel, aber trotzdem zeichnete sich die Silhouette des Holmenkollåsens vor dem Himmel ab. Er zündete sich eine Zigarette an. Kurz darauf hörte er ihre nackten Füße hinter sich und spürte ihre Hand in seinem Nacken.
»Stimmt was nicht?«
»Nein, nein.«
Sie setzte sich auf die Armlehne und drückte ihre Nase in seine Halsbeuge. Ihre Haut war noch immer warm und roch nach Rakel und Liebe und den Tränen von Prinzessin Myrrha.
»Opium«, sagte er. »Was für ein Name für ein Parfüm.«
»Magst du es nicht?«
»Doch, doch.« Harry blies
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