Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
waren, kam der Dialekt auch bei ihm wieder an die Oberfläche. »Irgendwann in den Neunzigern waren sie, wenn ich mich recht erinnere, blau. Ziemlich nervig, das Ganze.«
»Was?«
»Dass wir ständig die Farben wechseln müssen und uns an nichts halten können. Erst sind die Autos schwarzweiß, dann weiß mit roten und blauen Streifen, und jetzt sollen sie wieder weiß sein mit schwarzen und gelben Streifen. Das schwächt doch den Wiedererkennungseffekt. Wie bei dem Absperrband in Drammen.«
»Was denn für ein Absperrband?«
»Kim Erik war beim Mittet-Fall am Tatort und hat Reste von Absperrband gefunden, das, wie er meinte, noch vom ersten Mord stammen müsste. Den Fall haben wir ja beide bearbeitet, ich vergesse immer den Namen dieses Homos …«
»René Kalsnes.«
»Aber junge Leute wie Kim Erik wissen natürlich nicht, dass das Absperrband damals blauweiß war.« Als fürchtete er, jemandem auf die Füße getreten zu sein, fügte er noch eilig hinzu: »Aber der kann irgendwann richtig gut werden.«
»Das glaube ich auch.«
»Gut.« Midtstuens Kiefer arbeiteten, während er kaute. »Da sind wir uns also einig.«
Bjørn rief Katrine an, sobald er wieder in seinem Büro war. Er bat sie, etwas Lack von den Schlagstöcken der Polizei zu kratzen und per Bote nach Bryn schicken zu lassen.
Anschließend saß er eine Weile da und dachte darüber nach, dass er ganz automatisch in das letzte Büro auf dem Flur gegangen war, wo er immer hingegangen war, um Antworten zu bekommen. Die Arbeit hatte ihn so gefangen genommen, dass er gar nicht mehr daran gedacht hatte, dass sie nicht mehr dort saß und Midtstuen jetzt ihr Büro hatte. Eine Sekunde lang dachte er, dass er Roar Midtstuen verstehen konnte. Der Verlust eines anderen Menschen konnte einem das Mark aus den Knochen saugen und einen so fertigmachen, dass es keinen Sinn mehr hatte, morgens aufzustehen. Er schüttelte den Gedanken an Midtstuen und sein rundes, aufgedunsenes Gesicht ab. Jetzt hatten sie etwas. Das fühlte er einfach.
Harry, Katrine und Bjørn saßen auf dem Dach der Oper und blickten in Richtung Hovedøya und Gressholmen.
Harry hatte gemeint, sie bräuchten frische Luft.
Es war ein warmer, bewölkter Abend, die Touristen hatten längst das Feld geräumt, so dass sie das Marmordach ganz für sich hatten. Unter ihnen glitzerte der Oslofjord im Licht des Ekebergs, des Hafenlagers und der großen Dänemarkfähre, die am Vippetangen-Kai lag.
»Ich bin alle Polizistenmorde noch einmal durchgegangen«, sagte Bjørn. »Nicht nur bei Mittet sind kleine Lacksplitter gefunden worden, sondern auch bei Vennesla und Nilsen. Es handelt sich um ganz gewöhnlichen Lack, der vielseitig zum Einsatz kommt, unter anderem auch bei den Schlagstöcken der Polizei.«
»Gut, Bjørn«, sagte Harry.
»Und dann waren da die Reste des Absperrbandes, das am Tatort des Mittet-Mords gefunden wurde. Das kann nicht von der Ermittlung des Kalsnes-Mordes stammen, da man diese Art Band damals nämlich noch gar nicht verwendet hat.«
»Das war Absperrband vom Tag zuvor«, sagte Harry. »Der Mörder hat Mittet angerufen und ihn gebeten zu kommen. Mittet geht davon aus, dass es an dem alten Tatort neuerlich einen Mord gegeben hat, und schöpft keinen Verdacht, als er das Absperrband der Polizei sieht. Vielleicht trägt der Täter sogar eine Polizeiuniform.«
»Satan«, sagte Katrine. »Ich habe den ganzen Tag darauf verwendet, Kalsnes irgendwie in Verbindung mit der Polizei zu bringen, aber Fehlanzeige. Trotzdem habe auch ich das Gefühl, dass wir da etwas auf der Spur sind.«
Sie sah zufrieden zu Harry, der sich eine Zigarette anzündete.
»Also, was tun wir jetzt?«, fragte Bjørn.
»Jetzt«, sagte Harry, »rufen wir alle Dienstwaffen für einen ballistischen Vergleich zurück.«
»Und welche?«
»Alle.«
Sie sahen Harry schweigend an.
Katrine fragte zuerst. »Was meinst du mit alle?«
»Alle Dienstwaffen der Polizei. Zuerst in Oslo, dann im Østlandet und wenn nötig im ganzen Land.«
»Machst du Witze?«, sagte Bjørn.
Die Zigarette wippte leicht zwischen Harrys Lippen, als er antwortete: »Nein, ganz und gar nicht.«
»Das ist unmöglich, vergiss es«, sagte Bjørn. »Die Leute glauben, so ein Ballistikcheck dauert nur fünf Minuten, weil das bei CSI so aussieht. Selbst Polizisten, die zu uns kommen, glauben das. Tatsache ist, dass es fast einen Tag dauert, eine Pistole zu checken. Alle? Allein im Polizeidistrikt Oslo arbeiten … wie viele Polizisten sind
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