Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
Polizeipräsident a. D. blickte auf, bekam ein enthusiastisches, aufmunterndes Nicken von Isabelle Skøyen und begann zu reden.
»Danke, Herr Senatsleiter. Ich will mich kurzfassen und Ihre Zeit nicht unnötig in Anspruch nehmen.«
Er sah zu Skøyen, die in Anbetracht seiner nicht gerade beeindruckenden Eröffnung deutlich weniger enthusiastisch wirkte.
»Ich habe mich, wie Sie es mir aufgetragen haben, genauer mit diesem Fall beschäftigt. Mich mit der Arbeit der Polizei auseinandergesetzt, der Dynamik der Vorgehensweise, der Art der Führung und damit, welche Strategien bisher verfolgt wurden. Oder, um die Worte der Senatorin Skøyen zu bemühen, welche Strategien bis jetzt erarbeitet, aber noch nicht verfolgt wurden.«
Isabelle Skøyens Lachen klang tief und selbstzufrieden, ebbte aber gleich wieder ab, als ihr bewusst wurde, dass nur sie lachte.
»Ich habe meine Kompetenz und Erfahrung eingesetzt und bin zu einem klaren Schluss gekommen, wie es weitergehen muss.«
Er sah Skøyens Nicken und war ein wenig erschüttert angesichts des geradezu tierischen Glitzerns in ihren Augen.
»Ich möchte vorausschicken, dass die Aufklärung eines einfachen Verbrechens nicht automatisch bedeuten muss, dass die Polizei gut geführt wird. Ebenso wenig, wie eine fehlende Aufklärung notwendigerweise mit einer schwachen Führung zu begründen ist. Und nachdem ich gesehen habe, was der amtierende Präsident Mikael Bellman bisher persönlich ausgerichtet hat, frage ich mich, was ich anders hätte machen können. Oder um es noch deutlicher auszudrücken, ich glaube nicht einmal, dass ich es so gut wie er gemacht hätte.«
Er notierte, dass Skøyens kräftiges Kinn auf dem Weg nach unten war, und fuhr – zu seiner eigenen Überraschung – mit fast sadistischer Freude fort.
»Das Ermittlungsfach entwickelt sich wie alles in unserer Gesellschaft weiter, und nach allem, was ich erkennen kann, beherrschen Bellman und seine Leute die neuen Methoden und technologischen Entwicklungen auf eine Weise, wie ich und meine Altersgenossen das nicht leisten könnten. Er genießt bei seinen Mitarbeitern großes Vertrauen, er ist ein begnadeter Motivator und er hat die Arbeit auf eine Weise organisiert, die die Kollegen in den anderen skandinavischen Ländern für vorbildlich halten. Ich weiß nicht, ob Senatorin Skøyen es schon gehört hat, aber Mikael Bellman ist gerade erst gebeten worden, einen Vortrag auf der jährlichen Konferenz von Interpol zu halten. Thema ist die Ermittlung und Ermittlungsleitung vor dem Hintergrund des aktuellen Falls. Senatorin Skøyen hat angedeutet, dass Bellman nicht alt genug für den Job sei. Zugegeben, Mikael Bellman ist ein junger Leiter. Aber er ist nicht nur ein Mann der Zukunft. Er ist ein Mann der Gegenwart. Kurz gesagt, er ist genau der Mann, den Sie in dieser Situation brauchen, Herr Senatsleiter. Was mich überflüssig macht. Das ist meine klare Schlussfolgerung.«
Der Polizeipräsident a. D. streckte seinen Rücken, legte die zwei Blätter mit Notizen ordentlich zusammen, die vor ihm lagen, und knöpfte den obersten Knopf seiner Jacke zu. Eine extra für diesen Zweck ausgewählte, weite Tweedjacke, wie Rentner sie gerne tragen. Er schob den Stuhl lärmend zurück, als bräuchte er Platz, um aufzustehen. Skøyens Mund stand jetzt weit offen, während sie ihn mit ungläubigem Blick anstarrte. Er wartete, bis er hörte, wie der Senatsleiter Luft holte, um etwas zu sagen, bevor er seinen letzten Akt begann. Den Abschluss, den finalen Dolchstoß.
»Und wenn ich noch ein Letztes hinzufügen darf. Schließlich geht es ja auch um die Kompetenz und Führungsqualität des Senats in wichtigen Dingen, wie ebendieser Mordserie.«
Die buschigen Augenbrauen des Senatsleiters, die seine lächelnden Augen in der Regel in einem hohen Bogen überspannten, waren jetzt nach unten gezogen und beschatteten seinen funkelnden Blick wie weiße Markisen. Der frühere Polizeipräsident wartete, bis der Senatsleiter nickte, ehe er fortfuhr.
»Ich verstehe, dass Senatorin Skøyen persönlich unter hohem Druck steht, schließlich ist das ihr Verantwortungsbereich. Außerdem stürzen sich die Medien ja förmlich auf das Thema. Aber dass eine Senatorin diesem Druck nachgibt und aus lauter Panik ihren Polizeipräsidenten ans Messer zu liefern versucht, wirft bei mir die Frage auf, ob nicht vielleicht die Frau Senatorin noch zu unreif ist. Natürlich ist das eine extreme Herausforderung für eine erst vor kurzem eingeführte
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