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Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Titel: Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Lunchpausen hier oben gesessen und versucht, seine Fälle aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Mit anderen Augen, aus einer neuen Perspektive, während die Sucht nach Nikotin und Alkohol an ihm genagt hatte, er sich selbst aber das Versprechen gegeben hatte, erst dann auf die Terrasse zu gehen und eine Zigarette zu rauchen, wenn er mindestens eine neue und überprüfbare Hypothese hatte.
    Er hatte geglaubt, es vermisst zu haben.
    Eine Hypothese, die nicht nur der Phantasie entsprang, sondern in etwas verankert war, das überprüft und beantwortet werden konnte.
    Er hob die Kaffeetasse an. Und stellte sie wieder ab. Kein neuer Schluck, bevor das Hirn nicht irgendetwas hatte, woran es sich festbeißen konnte. Ein Motiv. Sie traten jetzt schon so lange auf der Stelle, dass es wirklich an der Zeit war, an einem anderen Ort zu beginnen. Einem Ort, an dem es Licht gab.
    Stuhlbeine scharrten über den Boden, und Harry blickte auf. Es war Bjørn Holm. Er stellte seine Tasse auf den Tisch, ohne dass ein Tropfen überschwappte, nahm die Rastamütze ab und fuhr sich mit den Fingern durch die roten Haare. Harry sah ihm abwesend zu. Machte er das, damit die Kopfhaut Luft bekam? Oder damit die Haare nicht plattgedrückt wurden, was seine Generation zu fürchten schien, Oleg hingegen ganz cool fand. In die Stirn fallende, verschwitzte Haare, die auf der Haut klebten. Ein belesener Nerd, ein Webfreak, ein selbstbewusster Städter, Verliererimage inklusive, die falsche Outsiderrolle. Sah er so aus, der Mann, den sie suchten? Oder war er ein rotwangiger Junge vom Lande, der mit Bluejeans, praktischen Schuhen und einer Allerweltsfrisur durch die Stadt lief? Jemand, der die Treppe putzte, wenn er an der Reihe war, der höflich und hilfsbereit war und über den niemand ein böses Wort sagte? Eine nicht überprüfbare Hypothese. Kein Kaffee.
    »Und?«, sagte Bjørn und genehmigte sich einen großen Schluck.
    »Tja …«, sagte Harry. Er hatte Bjørn nie gefragt, warum ein Countryman eine Reggaemütze trug und keinen Cowboyhut. »Ich glaube, wir sollten uns den Mord an René Kalsnes noch einmal genauer anschauen, ohne dabei an das Motiv zu denken. Wir sollten uns auf die technischen Fakten konzentrieren. Wir haben die Kugel, mit der er ermordet wurde. Neun Millimeter. Das geläufigste Kaliber der Welt. Wer benutzt das?«
    »Alle, absolut alle. Sogar wir.«
    »Hm. Wusstest du, dass Polizisten in Friedenszeiten weltweit vier Prozent aller Morde begehen? Und in der Dritten Welt neun Prozent? Und dass uns das zu der mörderischsten Berufsgruppe der Welt macht?«
    »Uih«, sagte Bjørn.
    »Er macht nur Witze«, sagte Katrine. Sie zog sich einen Stuhl an den Tisch und stellte eine große, dampfende Tasse vor sich. »In zweiundsiebzig Prozent der Fälle, in denen sich Menschen auf die Statistik berufen, haben sie die gerade erst erfunden.«
    Harry amüsierte sich.
    »Ist das witzig?«, fragte Bjørn.
    »Ich finde schon«, sagte Harry.
    »Wieso?«, fragte Bjørn.
    »Frag sie.«
    Bjørn sah zu Katrine. Sie rührte lächelnd in ihrer Tasse.
    »Verstehe ich nicht!« Bjørn sah Harry vorwurfsvoll an.
    »Das versteht sich doch von selbst. Das mit den zweiundsiebzig Prozent ist ihr gerade erst eingefallen, oder?«
    Bjørn schüttelte ratlos den Kopf.
    »Das ist ein Paradoxon«, sagte Harry. »Wie der Grieche, der sagt, dass alle Griechen lügen.«
    »Was nicht bedeuten muss, dass es stimmt«, sagte Katrine. »Also das mit den zweiundsiebzig Prozent. Harry, glaubst du wirklich, dass der Mörder ein Polizist ist?«
    »Das habe ich nicht gesagt«, sagte Harry und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Ich habe nur gesagt …«
    Er hielt inne. Spürte, wie seine Nackenhaare sich aufstellten. Die guten alten Nackenhaare. Die Hypothese. Er starrte auf seine Kaffeetasse. Er hatte jetzt wirklich Lust auf einen Schluck.
    »Ein Polizist«, wiederholte er, hob den Blick und sah, dass die anderen beiden ihn anstarrten.
    »René Kalsnes wurde von einem Polizisten ermordet.«
    »Was?«, fragte Katrine.
    »So lautet unsere Hypothese. Die Kugel hatte neun Millimeter, wie die unserer Heckler-&-Koch-Dienstwaffen. Und unweit des Tatorts wurde ein Schlagstock der Polizei gefunden. Außerdem ist das der einzige der Originalmorde, der Ähnlichkeit mit unseren Polizistenmorden hat. Die Gesichter der Opfer sind zertrümmert. Die meisten Originalmorde waren Sexualmorde, die neueren sind Hassmorde. Warum hasst man?«
    »Jetzt bist du doch wieder beim Motiv«, wandte

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