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Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Titel: Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Harry tot war, da war die Rache doch vollkommen überflüssig, warum also …? Stopp!
    Er musste Bjørn anrufen und Delta hierher umdirigieren. Aber sie waren im Wald auf der falschen Seite der Stadt. Das dauerte sicher eine Dreiviertelstunde. Verdammt, verdammt! Er musste das selber machen.
    Harry redete sich selbst ein, dass er Zeit hatte.
    Dass ihm viele Sekunden blieben, vielleicht eine Minute.
    Auf ein Überraschungsmoment konnte er nicht hoffen, nicht bei drei Schlössern, die geöffnet werden mussten. Folkestad würde ihn hören und einem der beiden die Waffe an den Kopf halten, lange bevor er im Haus war.
    Schnell, schnell! Eine andere Lösung, Harry!
    Er nahm das Handy heraus. Wollte Bjørn eine SMS schicken. Aber seine Finger gehorchten ihm nicht, sie waren steif, gefühllos, als würden sie nicht mehr durchblutet.
    Nicht jetzt, Harry, nicht einfrieren. Das ist ein ganz normaler Job, das sind nicht sie, das sind … Opfer. Gesichtslose Opfer. Es sind … die Frau, die du heiraten willst, und der Junge, der dich Papa genannt hat, als er klein war. Der Junge, den du nie enttäuschen wolltest und dessen Geburtstag du doch vergessen hast, und das – schon das – konnte dich in Panik versetzen, wenn du verzweifelt irgendetwas aus dem Hut zaubern musstest. Immer wieder.
    Harry blinzelte.
    Verdammter Falschspieler.
    Das Handy auf dem Wohnzimmertisch. Er konnte sie anrufen und hoffen, dass Folkestad von seinem Platz aufstand, so dass Rakel und Oleg nicht mehr in der Schusslinie waren. Vielleicht konnte er ihn treffen, wenn er das Gespräch entgegennahm.
    Aber wenn er es nicht tat, sondern einfach sitzen blieb?
    Harry warf noch einen Blick hinein. Tauchte ab und hoffte, dass Folkestad die Bewegung nicht gesehen hatte. Der war nämlich mit dem Schlagstock in der Hand aufgestanden und hatte Rakel zur Seite geschoben. Sie stand noch immer im Weg. Aber selbst wenn er freie Schussbahn gehabt hätte, wäre es mehr als unwahrscheinlich, dass er aus zehn Metern Entfernung so gut traf, dass er Folkestad damit unmittelbar stoppen konnte. Dafür brauchte es eine präzisere Waffe als die rostige Odessa mit dem Riesenkaliber. Er musste näher ran. Wenn möglich weniger als zwei Meter.
    Er hörte Rakels Stimme durch das Fenster.
    »Nehmen Sie mich, bitte!«
    Harry presste den Hinterkopf an die Wand und kniff die Augen zu. Etwas tun, etwas tun, aber was? Mein Gott, was? Gib einem verdammten Falschspieler einen Tipp, er wird es dir danken mit … was auch immer du willst. Harry holte tief Luft und flüsterte ein Versprechen.
    Rakel starrte den Mann mit dem roten Bart an. Er stand direkt hinter Olegs Stuhl und hatte das Ende des Schlagstocks auf seine Schulter gelegt. In der anderen Hand hielt er die auf sie gerichtete Pistole.
    »Es tut mir wirklich leid, Rakel, aber ich kann Ihren Sohn nicht verschonen, verstehen Sie. Er ist das eigentliche Ziel.«
    »Aber warum?« Rakel merkte nicht, dass sie weinte, spürte nur die warmen Tränen auf ihren Wangen. Sie waren wie eine physische Reaktion, losgelöst von dem, was sie fühlte. Oder nicht fühlte. Taubheit. »Warum tun Sie das, Arnold? Das ist doch … ist doch …«
    »Krank?« Arnold verzog das Gesicht zu einem bedauernden Lächeln. »Das hättet ihr wohl gerne, was? Dass wir alle uns mit grandiosen Rachephantasien herumschlagen, aber niemand von uns imstande ist, sie auch auszuführen.«
    »Aber warum?«
    »Weil ich in der Lage bin zu lieben, bin ich auch in der Lage zu hassen. Das heißt, inzwischen kann ich wohl nicht mehr lieben. Deshalb ist an diese Stelle jetzt …«, er hob den Schlagstock leicht an, »… das hier getreten. Ich räche meinen Geliebten. René war für mich mehr als eine flüchtige Liebschaft. Er war mein …«
    Er stellte den Schlagstock auf den Boden, lehnte ihn an den Stuhl und griff in seine Tasche, ohne die Pistole auch nur einen Millimeter zu senken.
    »… Augenstern. Der mir genommen wurde. Ohne dass irgendjemand etwas getan hätte.«
    Rakel starrte auf das, was er ihr hinhielt. Sie wusste, dass sie schockiert sein sollte, gelähmt, ängstlich. Aber sie fühlte nichts, ihr Herz war längst eingefroren.
    »Er hatte so schöne Augen, dieser Mikael Bellman. Deshalb habe ich ihm genommen, was er mir genommen hat. Das Beste, was er hatte.«
    »Die Augen. Aber warum Oleg?«
    »Verstehen Sie das wirklich nicht, Rakel? Er ist ein Samenkorn. Harry hat mir erzählt, dass er Polizist werden will. Und schon jetzt hat er seine Pflicht vernachlässigt,

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