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Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Titel: Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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andere Dinge vor.«
    »Jetzt bist du aber streng, Arnold«, sagte Harry lachend, ließ Rakel los, schob sie von sich weg und zog seine Jacke aus.
    »Komm her«, sagte Arnold.
    »Hier ist besseres Licht, Arnold.«
    »Mein Knie tut weh, komm du her.«
    Harry beugte sich runter und schnürte seine Schuhe auf. »Ich habe heute eine heftige Explosion miterlebt, da verzeihst du mir doch wohl, dass ich mir erst die Schuhe ausziehen will. Wenn du gehst, musst du dein Knie ja doch bewegen, also komm mit deinem Zeitplan her, wenn es so dringend ist.«
    Harry starrte auf seine Schuhe. Der Abstand von der Stelle, wo er kniete, bis zu Arnold und dem Stuhl mit der Decke betrug vielleicht sechs oder sieben Meter. Zu weit für jemanden, der Harry erst vor kurzem erzählt hatte, dass seine Sehfähigkeit und sein Zittern so stark waren, dass er ein Ziel schon einen halben Meter vor sich haben musste, um zu treffen. Und jetzt war das Ziel auch noch kleiner geworden, weil es sich hingehockt und nach unten gebeugt hatte, um mit den Schultern den Oberkörper zu schützen.
    Er zupfte an den Schnürsenkeln herum, als wollten sie nicht aufgehen.
    Er musste es schaffen, Arnold zu sich zu locken.
    Denn sie hatten nur eine Chance. Und vielleicht war es genau das, was ihn mit einem Mal so unglaublich ruhig und entspannt werden ließ. All in . Der Einsatz war gemacht. Der Rest oblag dem Schicksal.
    Vielleicht war es diese Ruhe, die Arnold spürte.
    »Wie du willst, Harry.«
    Harry hörte Arnold näher kommen. Er konzentrierte sich weiter auf seine Schnürbänder. Wusste, dass Oleg auf dem Stuhl saß. Der Junge war vollkommen still, als wüsste er genau, was vor sich ging.
    Jetzt ging Arnold an Rakel vorbei.
    Damit war der Augenblick gekommen.
    Harry blickte auf. Starrte in das schwarze Auge der Pistolenmündung, das ihn aus zwanzig, dreißig Zentimeter Entfernung anstarrte.
    Seit er das Haus betreten hatte, wusste er, dass der geringste Fehler, eine noch so kleine Bewegung, Arnold dazu verleiten konnte zu schießen. Zuerst auf den, der ihm am nächsten war. Oleg. Wusste Arnold, dass Harry bewaffnet war? Dass er zu dem fingierten Treffen mit Truls Berntsen eine Pistole mitgenommen hatte?
    Vielleicht, vielleicht auch nicht.
    Aber das war ohnehin gleichgültig. Harry würde es nicht mehr schaffen, eine Waffe zu ziehen, wo auch immer er sie hatte.
    »Arnold, warum …?«
    »Leb wohl, mein Freund.«
    Harry sah, wie Arnold Folkestads Finger sich um den Abzug legte und krümmte.
    Und er wusste, dass er nicht kommen würde, der klare Moment, die Einsicht, die wir am Ende unserer Reise erwarten. Weder die große Erkenntnis, warum wir geboren wurden und starben, noch was der Sinn der Zeit dazwischen war. Noch nicht einmal die kleinste Erkenntnis, die erklärte, was einen Menschen wie Folkestad dazu brachte, sein eigenes Leben zu opfern, um das von anderen zu zerstören. Stattdessen war da die immer gleiche Synkope, der schnelle Tod, diese banale, aber logisch platzierte Pause inmitten des Wortes: Wa-rum.
    Das Pulver entzündete sich mit – buchstäblich – explosionsartiger Wucht, und der dabei entstehende Druck schleuderte das Projektil mit einer Geschwindigkeit von rund dreihundertsechzig Metern pro Sekunde aus seiner Messinghülse. Das weiche Blei verformte sich durch die Ritzen und Kerben im Lauf, die die Kugel in eine Drehbewegung versetzten, so dass sie stabiler durch die Luft flog. Was in diesem Fall nicht nötig war. Denn schon nach wenigen Zentimetern drang das Blei in den Schädel ein und bremste auf dem Weg durch den Knochen ab. Als die Kugel das Gehirn erreichte, betrug die Geschwindigkeit noch dreihundert Kilometer in der Stunde. Das Projektil passierte und zerstörte zuerst die Hirnrinde und lähmte damit alle Bewegungen, danach durchschlug es den Schläfenlappen, setzte alle Funktionen von Lobus dexter und Lobus frontalis außer Kraft, streifte den Sehnerv und traf die Innenseite des Schädels auf der gegenüberliegenden Seite. Der Auftreffwinkel und die geringere Geschwindigkeit bewirkten, dass die Kugel, statt auszutreten, zurückgeworfen wurde und andere Teile des Schädelinneren traf, wobei sie immer langsamer wurde, bis sie schließlich stoppte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits so viel Schaden angerichtet, dass das Herz zu schlagen aufgehört hatte.

Kapitel 51
    K atrine schauderte und suchte Schutz in Bjørns Arm. Es war kalt in dem großen Kirchenraum. Ebenso kalt wie draußen, sie hätte sich definitiv wärmer anziehen

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