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Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Titel: Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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den Flur. Eine weiße Gestalt schwebte auf sie zu. Er hörte, dass Silje sich erhob. Die Gestalt nahm klarere Formen an und wurde zu einer üppigen blonden Frau im Kittel des Pflegepersonals. Er wusste, dass sie Nachtschicht hatte und morgen Abend freihaben würde.
    »Guten Abend«, sagte die Schwester mit verschmitztem Lächeln, hielt zwei Spritzen hoch, ging zur Tür und legte die Hand auf die Klinke.
    »Moment«, sagte Silje und trat vor. »Ich muss Sie bitten, mich einen Blick auf Ihr Schild werfen zu lassen. Und könnten Sie mir das heutige Passwort nennen?«
    Die Schwester sah Anton überrascht an.
    »Außer mein Kollege hat Sie schon überprüft«, sagte Silje.
    Anton nickte: »Geh nur rein, Mona.«
    Die Schwester öffnete die Tür, und Anton blickte ihr nach. In dem schwach beleuchteten Raum konnte er die Apparate, die um das Bett herumstanden, und die Zehen des Mannes erkennen, die am Fußende unter der Bettdecke hervorragten. Der Patient war so groß, dass sie ein längeres Bett hatten beschaffen müssen. Die Tür schloss sich.
    »Gut«, sagte Anton und lächelte Silje an, sah aber gleich, dass seine Kollegin das nicht mochte. Fühlte sie sich benotet? Hielt sie ihn für einen Chauvinisten? Aber verdammt, sie war ja noch nicht mal mit der Ausbildung fertig, und bei den ersten Praxiseinsätzen war es doch wohl in Ordnung, von erfahrenen Kollegen zu lernen. Er blieb stehen und wippte auf den Füßen, unsicher, wie er mit der Situation umgehen sollte.
    Sie kam ihm zuvor.
    »Keine Sorge, ich habe die Dienstanweisung studiert. Und Sie werden doch wohl von Ihrer Familie erwartet.«
    Er setzte den Becher an die Lippen. Was wusste sie sonst noch über ihn? War das eine Andeutung, eine Anspielung auf Mona und ihn? Wusste sie etwa, dass er sie ein paarmal abends nach der Schicht nach Hause gefahren hatte und dass es dabei nicht geblieben war?
    »Der Bärchenaufkleber auf Ihrer Tasche«, erklärte sie lächelnd.
    Er nahm einen großen Schluck und räusperte sich. »Ich habe Zeit, und das ist Ihre erste Wache. Vielleicht sollten Sie die Gelegenheit für Fragen nutzen, wenn Sie irgendetwas wissen wollen. Es steht nicht immer alles in der Dienstanweisung, wissen Sie.« Er verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. Hoffte, dass sie den Text zwischen den Zeilen verstand.
    »Wie Sie wollen«, sagte sie mit dem irritierenden Selbstvertrauen, das man in dieser Form nur mit Anfang zwanzig hatte. »Der Patient da drinnen, wer ist das eigentlich?«
    »Das weiß ich auch nicht. In der Dienstanweisung steht, dass er anonym ist und es auch bleiben soll.«
    »Aber Sie wissen etwas?«
    »Tue ich das?«
    »Mona. Sie duzen niemanden, mit dem Sie nicht auch länger geredet haben. Was hat sie Ihnen erzählt?«
    Anton Mittet sah sie an. Sie war recht hübsch, aber ohne Wärme oder Charme und für seinen Geschmack zu dünn. Ihre Haare waren ungekämmt, und ihre Oberlippe sah aus, als würde sie von zu kurzen Sehnen nach oben gezogen, so dass zwei ungleiche Schneidezähne zu sehen waren. Aber sie strahlte Jugend und Frische aus. Und in ihrer schwarzen Uniform steckte ein straffer, austrainierter Körper, das roch er förmlich. Sollte er ihr sagen, was er wusste? Weil das seine Chancen, bei ihr zu landen, um null Komma null eins Prozent erhöhte oder weil Frauen wie Silje im Laufe von nur fünf Jahren zur leitenden Hauptkommissarin oder Spezialermittlerin und damit zu seiner Vorgesetzten avancierten? Er würde wegen der Sache in Drammen für immer und ewig einfacher Polizist bleiben. Der Vorfall bremste seine Karriere wie eine unüberwindbare Mauer, war wie ein Fleck, der nicht wegzuwischen war.
    »Mordversuch«, sagte Anton. »Hat viel Blut verloren, hat bei der Einlieferung kaum noch Puls gehabt und liegt seither im Koma.«
    »Und warum wird er bewacht?«
    Anton zuckte mit den Schultern. »Ein potentieller Zeuge. Wenn er überlebt.«
    »Und was weiß er?«
    »Ach, irgendwelche Drogensachen. Aber auf hohem Niveau. Wenn er aufwacht, kann er mit seinen Informationen vermutlich wichtige Leute im Osloer Heroingeschäft zu Fall bringen. Und natürlich sagen, wer ihn zu töten versucht hat.«
    »Die glauben also, dass der Täter zurückkommt, um seinen Job zu Ende zu bringen?«
    »Wenn bekannt wird, dass er noch am Leben ist und wo man ihn finden kann: Ja. Vermutlich sind wir deshalb hier.«
    Sie nickte. »Und? Wird er überleben?«
    Anton schüttelte den Kopf. »Sie gehen davon aus, ihn noch ein paar Monate am Leben erhalten zu können, aber

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