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Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Titel: Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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sie Silje hieß. Anton Mittet starrte auf den Hahn. Hätte er auch für einen männlichen Kollegen Kaffee gemacht? Er wusste es nicht, aber eigentlich war es ihm auch egal, er dachte schon lange nicht mehr über solche Fragen nach. Es war so still geworden, dass er die letzten, klaren Tropfen in den Plastikbecher fallen hörte. Eigentlich hatte das, was am Schluss kam, weder Farbe noch Geschmack, aber es war wichtig, alles mitzunehmen, schließlich würde es für die junge Frau eine lange Nacht werden. Ohne Gesellschaft, ohne Abwechslung, einzig mit der Aufgabe, an die kahlen farblosen Betonwände des Reichshospitals zu starren. Wahrscheinlich war er deshalb auf den Gedanken gekommen, vor seinem Nachhauseweg noch einen Kaffee mit ihr zu trinken. Er nahm die beiden Becher und ging zurück. Seine Schritte hallten von den Wänden wider. Er passierte verschlossene Türen, hinter denen nichts anderes war als weitere kahle Wände, das hatte er überprüft. Mit dem Reichshospital hatten die Norweger für die Zukunft geplant, wohl wissend, dass die Bevölkerungszahl wuchs und es irgendwann mehr ältere, kränkere und anspruchsvollere Menschen geben würde. Man hatte Weitsicht gezeigt, wie die Deutschen mit ihren Autobahnen und die Schweden mit ihren Flughäfen. Aber hatten die wenigen Autofahrer, die in den dreißiger Jahren in einsamer Majestät über die mastodontischen Betontrassen durch das bäuerliche Deutschland gefahren waren, oder die schwedischen Passagiere, die in den sechziger Jahren durch die überdimensionierten Hallen Arlandas gelaufen waren, auch das Gefühl gehabt, dass es spukte? Dass irgendetwas umging, obwohl alles neu und unbesudelt war und noch niemand bei einem Verkehrsunfall oder Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war? Dass das Licht der Scheinwerfer jeden Augenblick eine Familie am Straßenrand einfangen konnte, die ausdruckslos ins Licht starrte? Blutig, blass, der Vater durchbohrt, die Mutter mit verdrehtem Kopf und das Kind mit auf einer Seite abgerissenem Arm und Bein? Dass durch den Plastikvorhang des Gepäckbandes in der Ankunftshalle von Arlanda plötzlich verbrannte, noch immer glühende Leichen kamen, die mit dem Gummi verschmolzen und aus deren weit aufgerissenen, dampfenden Mündern stumme Schreie drangen? Keiner der Ärzte hatte ihm sagen können, wofür dieser Flügel verwendet werden sollte, sicher war nur, dass hinter diesen Türen einmal Menschen sterben würden. Die unsichtbaren Körper mit ihren ruhelosen Seelen waren längst da.
    Anton bog um eine Ecke, und ein neuer Flur erstreckte sich vor ihm, notdürftig beleuchtet, ebenso kahl und weiß und sich symmetrisch nach hinten verjüngend, so dass die uniformierte, junge Frau auf dem Stuhl am Ende des Flurs wie ein Miniaturbild auf einer großen weißen Leinwand aussah.
    »Hier, ich habe Ihnen einen Kaffee mitgebracht«, sagte er, als er vor ihr stand. War sie zwanzig? Zweiundzwanzig?
    »Danke, aber ich habe selbst welchen dabei«, antwortete sie und nahm eine Thermoskanne aus dem kleinen Rucksack, den sie neben ihren Stuhl gestellt hatte. In ihrer Stimme war eine kaum hörbare Melodie, die Reste eines nördlichen Dialekts?
    »Der hier ist besser«, sagte er noch immer mit ausgestreckter Hand.
    Sie zögerte und nahm den Becher.
    »Und gratis«, sagte Anton, legte die Hand hinter den Rücken und rieb diskret die heißen Fingerkuppen an dem kalten Stoff der Jacke. »Die Maschine ist nur für uns, sie steht hinten im Flur beim …«
    »Ich weiß, ich habe sie gesehen, als ich gekommen bin«, sagte sie. »Aber in der Dienstanweisung steht, dass wir die Tür des Patienten unter keinen Umständen aus den Augen lassen sollen, weshalb ich mich selbst versorgt habe.«
    Anton Mittet nahm einen Schluck aus seinem Becher. »Richtig gedacht, aber es führt nur ein Flur hierher. Wir sind im dritten Stock und zwischen hier und der Kaffeemaschine gibt es keine Türen, die zu anderen Treppen oder Eingängen führen. Es ist unmöglich, an uns vorbeizukommen, selbst wenn wir Kaffee holen.«
    »Gut zu wissen, ich werde mich trotzdem an die Vorschrift halten.« Sie lächelte ihn kurz an, nahm dann aber einen Schluck aus dem Plastikbecher, als wollte sie damit die unausgesprochene Zurechtweisung abmildern.
    Anton fühlte sich ein wenig auf den Schlips getreten und wollte gerade sagen, dass man mit genügend Erfahrung durchaus auch einmal selbständig denken durfte, doch bevor er sich die Worte richtig zurechtgelegt hatte, ging sein Blick nach hinten in

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